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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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vielleicht sogar Martina, und nachfragen, was denn jetzt los sei mit meinem Geburtstag. Aber es rief
niemand an, was mir vollends den Schlaf raubte. Hatte man mich bereits vergessen?
    Als ob Michael ahnte, dass ich mich vor der Beerdigung drücken wollte, rief er an und schlug vor, mich abzuholen. Dann könnten wir auf der Fahrt zum Waldfriedhof unseren »Gig« – er nannte es echt so – noch einmal durchgehen. Michael kam in Begleitung von Susanne. Er trug eine schwarze Jeans und ein schwarzes Tuxedo, darunter ein weißes Hemd mit Rüschen – sein Bühnenoutfit. Susanne trug ein rotes Kleid, in dem sie so sexy aussah, dass ich glatt von den Toten auferstanden wäre. Nach meiner peinlichen Erfahrung mit dem Dresscode bei Rolf missachtete ich die Bitte von Beates Familie, in fröhlichen Farben zu erscheinen, und zog den dunklen Anzug an, den ich in die Reinigung gebracht hatte. Dazu trug ich ein weißes Hemd ohne Krawatte und schwarze Schuhe.
    Vor dem Waldfriedhof wartete Ingrid bereits hinter den getönten Scheiben ihres Firmenwagens. Der Chauffeur öffnete mit seinen weißen Handschuhen den Kofferraum und holte den Kranz heraus, zumindest versuchte er es. Es war der größte Kranz, den ich je gesehen hatte: ein Feuerwerk aus exotischen Blumen, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gab. Während ich zusammen mit Michael den Kranz schleppte, trug Susanne Michaels Gitarre und sah dabei aus wie ein Groupie. Am Ende unseres kleinen Trauerzuges folgte Ingrid in einem champagnerfarbenen Hosenanzug. Dazu trug sie einen Schlapphut in derselben Farbe und die größte Sonnenbrille der Welt. Fehlte nur noch Andreas. Der hatte per SMS angekündigt, er sei gerade in München gelandet und würde direkt zur Friedhofskapelle kommen, wo bereits die Trauernden saßen. Nicht viele Menschen: Beates Schwester mit ihren beiden erwachsenen Kindern, ein paar Kolleginnen. Zwei waren direkt aus der Klinik gekommen, unter ihren Jacken schauten die blauen Krankenschwesternkittel hervor.
    Wir stellten den Kranz vor dem Sarg ab, der auf einem Podest aufgebahrt war. Dann nickte ich Beates Schwester zu,
um ihr zu signalisieren, dass alles in Ordnung sei. Dabei war nichts in Ordnung, ich hatte immer noch keine Rede. Okay, ich hatte eine Rede, aber diese Rede hätte auch der katholische Priester halten können, der jetzt mit zwei Messdienerinnen auftauchte und seine Beschwörungen murmelte. Warum Messdienerinnen? Ich hatte noch nie Messdienerinnen gesehen! Ich wurde wirklich alt. Nun kam Michael nach vorn und stimmte seine Gitarre, wobei er einen seiner Stiefel aus weißem Schlangenleder auf den Sarg stellte, was er nach einem strengen Blick von Susanne korrigierte.
    Michael spielte und sang mit einer Inbrunst, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Die Trauernden waren gerührt, aber gefasst, bis Michael die zweite Strophe begann:
    »And a new day will dawn
    For those who stand long
    And the forests will echo with laughter …«
    Beates Schwester begann so heftig zu schluchzen, dass ihre Kinder sie stützen mussten. Zum Glück platzte in diesem Moment Andreas in die Kapelle mit seinem Trolley, an dem ein Gepäckanhänger von Singapore Airlines flatterte. Andreas brachte Michael kurz aus dem Takt und gab so allen die Gelegenheit, sich wieder zu fassen.
    Dann war ich dran. Ich stand auf, ging nach vorn zu dem Sarg und zog mit zitternden Händen den Zettel aus meinem Jackett mit der Rede, die ich am Morgen zusammengestoppelt hatte.
    »Der Tod ist und bleibt ein Mysterium«, hörte ich mich sagen, »weshalb wir ihn in unseren aufgeklärten, selbstbestimmten Zeiten aus dem Leben verbannt haben. Denn wir empfinden den Tod als Kränkung in einer Welt, in der jeder sein eigener Gott ist …«
    Was für ein Schwachsinn, dachte ich. Trotzdem lauschten alle ergriffen, oder war da in Ingrids klugem Gesicht nicht ein feines, ironisches Lächeln? Egal, einfach weitermachen, in drei Minuten hätte ich es hinter mir.
    »Beate hat sich nicht vor dem Tod versteckt. Im Gegenteil.
Mutig ist sie dem Tod immer wieder entgegengetreten: in den Favelas von Rio, in den Savannen Afrikas, im Dschungel auf Borneo …«
    Eine Frau in der ersten Reihe warf mir einen bösen Blick zu. Offenbar die Vertreterin der Organisation, die das Waisenhaus für Affenbabys unterhielt.
    »Ähm … im Dschungel auf Kalimantan. Aber vor allem hat sich Beate ihrem eigenen Tod gestellt, ihrem Krebs.« Während ich weiter den Text ablas, fragte ich mich: Wäre ich zufrieden mit dieser Rede,

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