Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
sich, und wenn sie nur anriefen, um anzurufen. Alle, bis auf Andreas.
Konnte er die ganzen SMS, die ich ihm sendete, nicht empfangen, weil er im Flieger saß? Dabei hätte ich Andreas gern erreicht, damit genügend Zeit für ihn blieb, seine Südamerika-Reise zu verschieben, um zu Beates Beerdigung zu kommen. Aber auch, um das Treffen im Airport-Hotel abzusagen, zu dem nach übereinstimmender Meinung der Gruppe niemand mehr Lust hatte. Doch trotz Dauerbeschuss mit E-Mails und SMS kam von Andreas keine Reaktion. Ich googelte Andreas, auch wenn das gegen Regel Nummer zwei verstieß. Beates Regeln, die nach ihrem plötzlichen Tod etwas Ehernes bekommen hatten. Aber es gab nichts über Andreas im Internet. Keine Website seiner Firma, über die ich hätte Kontakt mit ihm aufnehmen können. Keine Links zu Organisationen, in denen Andreas Mitglied war, oder zu Kongressen, an denen er teilgenommen hatte. Es gab nur eine
Seite auf Facebook, auf der Andreas entgegen seiner sonst so großen Mitteilungsfreude, die uns oft auf die Nerven ging, erstaunlich wenig von sich preisgab. Allerdings fand ich dort neben einem unvorteilhaften Foto, das Andreas in Badehose auf Mallorca zeigte, seine private Adresse.
Da ich Beates Schwester um ein Treffen gebeten hatte, bei dem ich mehr über Beate herausfinden wollte für meine kleine Rede, und dieses Treffen im Haus der Schwester in Fürstenfeldbruck stattfand, unterbrach ich meine Rückfahrt mit der S-Bahn in Pasing und nahm ein Taxi zum Amselweg, eine Wohnstraße voll gleichförmiger, grauer Reihenhäuser. Andreas wohnte am Ende an einem Wendehammer. Eine rostige Schaukel quietschte im Wind, auf der schon lange kein Kind mehr gesessen hatte. In der Hundehütte wachte kein Hund mehr, und in der offenen Garage parkte kein Auto, sondern lag Gerümpel, das der Sperrmüll vergessen hatte abzuholen. Alles wirkte ein wenig heruntergekommen und ungepflegt, nur die Satellitenschüssel auf dem Dach war neu. Offenbar war Andreas nach der Scheidung in dem Haus wohnen geblieben und hatte seine Frau rausgeworfen, was zu ihm gepasst hätte.
Zunächst geschah nichts, nachdem ich die Türklingel gedrückt hatte, stattdessen heulte im Haus ein Staubsauger, der immer lauter wurde, weshalb ich begann, gegen die Tür zu trommeln. Der Staubsauger wurde abgeschaltet, die Haustür öffnete sich.
»Tommy!«
Ich erkannte Andreas kaum. Ich hatte ihn immer nur im Anzug gesehen mit Hemd und Krawatte, jetzt stand er vor mir in Shorts und T-Shirt wie ein altgewordener Junge.
»Was ist los? Komm rein!«
Ich folgte Andreas ins Haus, das mich an das Haus meiner Eltern erinnerte: verschnörkelte Möbel, Ölgemälde von dunklen deutschen Wäldern, großgemusterte Tapeten.
»Meine Mutter kommt nicht mehr alleine klar.« Andreas
zeigte auf eine Frau im Rollstuhl, die im Wohnzimmer vor dem Fernseher saß und uns nicht bemerkte. »Wenn ich in München bin, schaue ich immer mal vorbei und räume auf. Kaffee?«
Andreas gab dem Staubsauger einen Tritt, wie einem Hund, damit er sich unter dem Dielenschrank verkroch, und bot mir einen Platz in der Küche an, die genauso aussah wie die Küche in meinem Elternhaus: ein Gefängnis für Hausfrauen, zu klein zum gemeinsamen Essen, aber groß genug, um dort ein Leben lang eingesperrt zu sein.
»Was ist los?« Andreas füllte Kaffeepulver in den Filter.
»Beate ist gestorben.«
»Was?!«
»Es gab Komplikationen bei der Narkose, sie ist nicht wieder aufgewacht.«
Ich hatte mich vor diesem Moment gefürchtet, weil ich einen blöden Spruch erwartete, weil Andreas immer blöde Sprüche raushaute, vor allem dann, wenn es nicht angebracht war. Aber Andreas schwieg. Schweigend nahm er den pfeifenden Wasserkessel vom Herd, schweigend schüttete er den Kaffee auf, schweigend stellte er zwei Tassen auf den Tisch, schweigend schenkte er uns Kaffee ein, schweigend nahm er mir gegenüber Platz, schweigend kippte er Zucker aus dem Zuckerstreuer in seine Tasse, während die Lacher der Sitcom, die seine Mutter schaute, aus dem Wohnzimmer herüberdrangen.
Andreas stand auf und schloss die Tür. Er setzte sich wieder an den Tisch, trank den heißen Kaffee in kleinen Schlucken und schüttelte dabei den Kopf. »Scheiße!« brach Andreas endlich sein langes Schweigen. »So eine verdammte Scheiße! Wissen die anderen es schon?«
Ich erklärte Andreas, dass wir beschlossen hatten, wegen Beates Tod den Termin am Flughafen ausfallen zu lassen, weshalb ich die ganze Zeit versucht hatte, ihn zu
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