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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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erreichen. Ich gab Andreas eine der Todesanzeigen, die mir Beates Schwester für unsere Gruppe mitgegeben hatte. Nur mit
Mühe hatte ich ihr ausreden können, eines der Fotos zu verwenden, die ich von Beate wenige Stunden vor ihrem Tod gemacht hatte. Diese Fotos waren sehr schön, aber nichts für die Öffentlichkeit. Ich fragte Andreas, ob er sich an unserem Kranz beteiligen würde und ob er es einrichten könnte, zu der Beerdigung am Samstagabend auf dem Waldfriedhof zu kommen.
    »Ist doch Ehrensache.« Andreas zückte sein iPhone. »Wenn du mich einen Moment entschuldigst, dann mache ich ein paar Anrufe.«
    »So lange gehe ich zur Toilette.«
    »Die Treppe rauf am Ende des Ganges links!«
    Während Andreas seine Flüge cancelte, erleichterte ich mich in dem engen Bad, in dem die ganzen beklemmenden Gefühle meiner Jugend wiederauferstanden. Und ich dachte, vielleicht waren es am Ende die braunen Kacheln, der WC-Deckel-Bezug aus rosa Frottee und die Matte aus blauem Gummi auf dem Boden der Badewanne, die uns fort aus dieser deutschen Gemütlichkeit in die Arme britischer Popbands, französischer Philosophen und lateinamerikanischer Revolutionäre getrieben hatte. Ich schloss die Tür zum Badezimmer, als könnte ich die Geister der Vergangenheit dort für immer einsperren, und ging Richtung Treppe, während ich an einem Zimmer vorbeikam, dessen Tür einen Spalt offenstand, sodass ich im Vorübergehen einen Gegenstand entdeckte, der mich in seinen Bann zog.
    Vorsichtig öffnete ich die Tür und betrat den kleinen Raum unter der Dachschräge. Es war das Kinderzimmer von Andreas, wo an der vergilbten Tapete noch die Tabelle der Bundesligasaison 1968/69 hing, als die Bayern – wer sonst?! – zum ersten Mal Deutscher Meister wurden. Aber das interessierte mich alles nicht. Nicht die Matchbox-Autos, die feinsäuberlich in einem Regal standen. Auch nicht die Karl-May-Bände, die ich alle gelesen hatte. Oder das Plakat von Wall Street , dem Lieblingsfilm von Andreas. Nicht einmal das »Krokodil« der Schweizerischen Bundesbahnen, das ich mir immer vergeblich
zu Weihnachten gewünscht hatte und das hier unter einer Staubschicht auf der Fensterbank stand. Es war der schwarze Trolley, den Andreas immer bei unseren Treffen dabei hatte. Darauf lagen Gepäckanhänger verschiedener internationaler Airlines. Ich konnte es nicht glauben: Andreas, der Global Player, der Wanderer zwischen den Welten, der mit Siebenmeilenstiefeln die Hotspots dieser Erde verband, unser Mann in Shanghai, wohnte in seinem Kinderzimmer.
    »Du wirst mich doch nicht verraten?«
    Ertappt drehte ich mich um.
    Andreas stand in der Tür und lächelte verlegen. Jetzt kam er zu mir, nahm mir die Gepäckanhänger aus der Hand und betrachtete sie, während er mit ungewohnt leiser Stimme zu sprechen begann: »Ich hatte wirklich mal eine Firma. Ich managte einen Immobilienfonds, wir hatten die Lizenz zum Gelddrucken.«
    »Wie Gordon Gekko?«
    »The point is, Ladies and Gentlemen, that greed, for lack of a better word, is good.« Perfekt imitierte Andreas die Stimme von Michael Douglas in Wall Street .
    »Ich ließ die Puppen tanzen, darüber ging meine Ehe in die Brüche. Dabei hat es meiner Frau an nichts gefehlt. Vielleicht lag’s daran. Dann kam Montag, der 15. September 2008. Ich stieg in Singapur gerade aus dem Flieger, als die Fernsehprogramme unterbrochen wurden und die Nachrichten meldeten, dass Lehman Brothers Insolvenz angemeldet hatte. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass eine der großen Investmentbanken der Wall Street pleitegehen könnte. Und noch weniger hätte ich mir vorstellen können, dass die amerikanische Regierung tatenlos zuschaute. Weiß auch nicht, was die damals geritten hat! Hing es damit zusammen, dass Hank Paulson, bevor er Finanzminister in der Bush-Regierung wurde, CEO bei Merrill Lynch war?«
    Hank Paulson, Merrill Lynch … Andreas schwelgte schon wieder in der Welt, die ihn ausgespuckt hatte wie einen abgenagten Knochen.

    »Wovon ihr Scheiß Linken immer geträumt hattet, war in greifbare Nähe gerückt: der Zusammenbruch des Kapitalismus. Ich bin sicher, Tommy, du hast sie genossen, diese Tage im September, als die Welt am Abgrund stand.«
    »Ich habe auch Geld verloren«, versuchte ich Andreas zu beruhigen.
    »Ich habe alles verloren.«
    »Warum bist du nicht wütend?«
    »Wütend? Worauf?«
    »Auf die Wall Street, Hank Paulson, Merrill Lynch. Keine Ahnung … Dieses ganze kranke System!«
    »Warum sollte ich auf den

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