Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
mehr beweisen, muss nicht mehr die Welt verändern. Ich sehe die Dinge mit Distanz.«
Was für ein Quatsch. Aber so gelang es mir, den Anrufern glaubhaft zu machen, dass ich wegen dieser neuen Gelassenheit auf eine große Party verzichten und ein paar Tage wegfahren würde. Mit wem und wohin, ließ ich offen. Und wenn trotzdem jemand hartnäckig blieb, sagte ich nur »Jorgos«.
Andererseits, flüsterte mir der Monkey Mind ins Ohr, war Beates unerwarteter Tod ein deutliches Warnsignal, sorgfältiger mit meiner verbleibenden Lebenszeit umzugehen. Wäre es also nicht besser, wie von Nina gefordert, ein »großes Fest« zu feiern, um all die Menschen, die wichtig waren in meinem Leben, noch einmal zu sehen, bevor dieses Leben jeden Moment zu Ende sein konnte?
Dazu war es jetzt zu spät – ich konnte nicht in 48 Stunden 100 Leute zusammentrommeln. Außerdem saß mir diese verdammte Trauerrede im Nacken, obwohl ich eigentlich
nicht auf den Mund gefallen bin. Aber wie spricht man von einem Menschen, den man kaum kannte, ohne in Klischees abzudriften, dass ich Beate nie vergessen werde und sie in meiner Erinnerung lebendig bleibt. Recherche! Ich googelte Beate und fand ihre Facebook-Seite mit Links zu der NGO, die sich in Bangkok um die Sexarbeiterinnen kümmerte. Ich fand auch die Website des Waisenhauses für Affen und mailte, dass Beate gestorben war. Zurück kam eine E-Card, wie man sie für Trauerfälle bei jedem Internetprovider bestellen kann, auf der Beates Name falsch geschrieben war. In meiner Not rief ich Michael an, ob wir vielleicht irgendetwas zusammen machen könnten auf der Beerdigung. Michael meinte, ich sollte einfach im Probenraum vorbeikommen, wo auch Susanne war. Sie entschuldigte sich, dass sie seit Beates Tod nicht mehr allein sein könne.
»Ist doch okay«, beruhigte ich sie, »wenn ihr darüber zueinander gefunden habt.«
»Aber ich fühle mich so schrecklich«, erwiderte Susanne.
»Warum?«
»Ist das nicht Leichenfledderei?«
»Ich denke, Beate würde es gefallen, dass ihr Tod zu etwas gut ist.«
Was für ein Dialog, schämte ich mich, während Michael die Gitarre, die der Rhythmusgitarrist der Crickets gespielt hatte, vom Ständer nahm.
»Hast du schon was, Tommy?«
Nein, ich hatte noch nichts.
Michael konnte sich nicht zwischen Highway to Hell und Stairway to Heaven entscheiden. Ich fand, dass Stairway to Heaven besser passte. Michael schlug vor, bei der Trauerfeier könne er mit dem Song beginnen.
»There’s a lady who’s sure
All that glitters is gold
And she’s buying the stairway to heaven …«
Michael sang, während sich Susanne an ihn schmiegte, was ihr nicht bewusst war.
»Ooh, it makes me wonder. Ooh, it makes me wonder …« Michael brach ab. »Dann bist du dran, Tommy.«
»Klar, dann bin ich dran.«
Um Zeit zu gewinnen, schnorrte ich von Michael eine Zigarette, auch wenn ich wusste, dass ich damit sechs Monate mühevolles Nichtrauchen in die Tonne trat. »Mir fällt einfach nichts Kluges ein, was ich über Beate sagen könnte. Oder zum Tod allgemein. Wenn ihr mich fragt, ich sehe im Sterben keinen höheren Sinn: Dass der Tod dem Leben eine Dimension gibt, oder so. Ich finde den Tod Scheiße!«
»Dann sag genau das«, ermutigte mich Susanne. »Sag einfach, was du denkst. Und danach …« Susanne schien es gut zu tun, dass sie jetzt mit Michael zusammen war: Seine Musikalität färbte auf sie ab. »Danach singen wir alle zusammen, unsere Selbsthilfegruppe.«
»Und was?« fragte ich alarmiert. »Der Hahn ist tot?!«
Das war als Scherz gemeint, ein ziemlich misslungener Scherz, ich weiß, trotzdem war es ein Scherz. Aber Susanne griff diese Anregung dankbar auf und erklärte, ein Kanon wäre doch schön, während ich dachte, was für seltsame Pfade das Leben doch geht: Ich hatte eine Selbsthilfegruppe gegründet, um Anregungen zu bekommen, wie ich meinen 50. Geburtstag feiern konnte, doch jetzt organisierten wir eine Beerdigung. Und alles schien auf eine Katastrophe hinauszulaufen. Ich würde krank sein, und um das schon mal glaubhaft anzukündigen, bedauerte ich, den Kanon, den Susanne jetzt anstimmte, nicht mitsingen zu können, weil ich aufs Klo musste. Der Tod von Beate war mir auf den Magen geschlagen.
In der folgenden Nacht, der Nacht vor der Beerdigung, ging es mir dann tatsächlich schlecht und ich konnte nicht schlafen, weil ich immer noch keinen einzigen Satz meiner Rede geschrieben hatte. Außerdem hatte ich Angst, die Kinder könnten anrufen,
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