Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Immendorff empfing, ich möchte, sagte er zwölf Tage nach der Tat, ich möchte, dass meine Frau weiß, dass sie meine einzige große Liebe ist, und dass sie weiß, dass ich ihr immer und ewig gehöre, und dass der Schmerz, den ich ihr zugefügt habe, der Grund für meine Scham ist.
Ganz in Schwarz stand er vor dem Landgericht Düsseldorf, August 2004, schwarz und schmal, er habe, sagte Immendorff, aus Lebensgier gehandelt, aus Panik, aus der Hoffnung heraus, die Angst vor dem Tod mit einer Sause zu verdünnen. Das ist so ein Spruch, sprach der Richter, ich möchte sagen, dass jeder lebensgierig ist. Fünf Tage dauerte der Handel, scharf beobachtet von Fernsehen und Presse, dann entschied das Gericht, Maler Immendorff sei zu bestrafen, indem er elf Monate in einem Gefängnis verbringe, bedingt erlassen auf zwei Jahre, und außerdem sei er dadurch zu büßen, dass er 150000 Euro gemeinnützigen Vereinen vermache. Einer Kunstzeitschrift brachte er aus: Ich habe schon Beuys zum Material gemacht, wie ich meine Hauptschüler zum Material gemacht habe, wie ich jetzt das Gerichtsverfahren zum Material mache, weil ich alles zum Material mache.
Er steht auf und schwankt.
Schieben Sie bitte den Rollstuhl rüber, ich möchte mich daran halten, muss einige Schritte gehen.
Er trägt leichte schwarze Schuhe, kleine Farbflecken darauf. Langsam, die Schrittchen kurz, stößt Immendorff das Fahrzeug durch sein Reich. Neulich war er in China und legte sich dort einem Chirurgen hin, der ihm den Schädel aufbohrte und zwei Millionen Zellen ins Hirn spritzte, Zellen abgetriebener Menschenföten.
Wo möchten Sie sterben?
Langes Schweigen.
Ich mag / ich kann das nicht sagen, ich kann es nicht. Ich möchte nicht in der Straßenbahn sterben, nicht im Taxi / also versuchen wir mal, das ein bisschen zu klären / also wenn / dann schon / wenn ich wüsste, dass es morgen ist / dann mit der Familie und Freunden / aber ich weiß nicht, ob das gut ist für sie / für mich wäre es leicht / wenn ich dann einschlafe / ich weiß nicht, ob ich der Familie das zumuten kann, und / vielleicht sollten die gar nicht dabei sein, dann hat man mich in Erinnerung, als sei man unterwegs.
Müde fährt er sich übers Gesicht.
Reden wir morgen weiter?
Gerne, sagt er, morgen.
Straße der Erlösung
Es ist Morgen am Rand der Welt, noch feucht und finster, Domingos Alves da Silva hat schlecht geschlafen wie immer.
Die Frau sagt: Eine Seife habe ich in deine Tasche gepackt.
Gut!, sagt der Mann und schweigt.
Jetzt rennt er zum Taxi vor dem Haus an der Rua Bahia 41, seine schönste Hose am Leib, das neue gelbe Hemd aus Krepp, und schaut nicht zurück.
Zum Bus!, sagt er leise.
Erste Hähne wecken die Stadt Breu Branco im Süden des Bundesstaates Pará, Brasilien, kurz vor sechs, Hunde jagen den Abfall der Nacht.
So früh unterwegs war Domingos Alves da Silva, Mitglied der Gewerkschaft der Landarbeiter, Sindicato dos Trabalhadores Rurais, seit Monaten nicht mehr. Vor sieben geht er nicht aus dem Haus, er versteckt sich darin, bis es hell wird, Domingos’ Tod ist 12000 Reais wert, 4000 Euro.
Dominguinhos, abandone o acampamento, rufen sie ihn an, gib das Lager auf, verlass den Boden, der uns gehört, mit all den verdammten Leuten, sonst frisst du bald Erde wie dein Freund Chico.
Im Busbahnhof tanzt ein Verrückter, beladen mit silbernem Tand und breitem Hut. Breu Branco, schreit er, sei die edelste Stadt von ganz Amazonien, von Brasilien überhaupt, schönste Perle dieser Welt. Er zwängt sich neben Domingos auf die hölzerne Bank, Bier in der Hand, und will reden, Domingos dreht sich weg und flieht, vorbei an lärmenden Händlern – Haarspangen, Uhren, Hüte, Taschenrechner –, es riecht nach faulen Bananen.
Vergangene Woche erst, auf seiner Honda unterwegs, Kennzeichen JUB 5812, überholte ihn einer, a mão de ferro, die Eisenhand, ein Schläger und Mörder im Dienst der Fazendeiros, der Großgrundbesitzer, er sah Domingos in die Augen und sprach sehr freundlich den Satz: Verzeih, Dominguinhos, noch hatte ich keine Zeit, dich abzuknallen. Aber mach dir keine Sorgen.
Sie kreisen mich ein, eng und enger, sagte Domingos zur Frau, die mit ihm lebt seit zwei Jahren. Seine erste, die ihm sechs Kinder gebar, blieb ein Vierteljahrhundert, dann hielt sie die Angst nicht länger aus und ging.
Er steigt in den Bus, der vom Stausee kommt, und findet keinen Platz. Menschen schlafen unter weiten roten Decken, verkrümmt und offenmundig, es ist halb sieben Uhr
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