Von Flammen verzehrt
Kontrolle über sich verloren und sie leidenschaftlich in seine Arme gerissen hatte. Himmel! Wie sehr er sich nach diesem Kuss verzehrt hatte – und es zu seiner größten Schande schon wieder tat!
Er wagte es kaum, sie anzuschauen und einen Blick auf ihre vollen Lippen zu werfen, die sich so weich und nachgiebig angefühlt hatten. Wagte es nicht, in ihre schönen haselnussbraunen Augen zu sehen, nachdem er ihr durch diesen unbeherrschten Kuss Hoffnung auf etwas gemacht hatte, was nicht sein durfte. Nirgendwo sonst war ihm dies bewusster als hier – in Rom.
Mit keiner anderen Stadt der Welt verband Julien das Gefühl eines schändlichen Verrates so sehr wie mit Rom. Mit Schaudern dachte er an seinen Freund Gabriel zurück – und an das, was dieser hier hatte durchmachen müssen.
Aber wie sollte er Fay ein weiteres Mal zurückweisen, nachdem er seiner eigenen Schwäche für sie erlegen war? Sie würde ihn hassen!
In Gedanken versunken, ging er seinen Freunden in die Via del Cancello hinterher, von wo sie direkt in eine schmale Gasse abbogen. Fay folgte ihm schweigend. Was sie wohl dachte? War sie in Sorge um ihre Schwester, oder ging auch ihr der Moment im Flugzeug nicht mehr aus dem Kopf?
Julien hätte zu gerne etwas zu ihr gesagt, ihr seine Zurückhaltung erklärt, aber es gab keine passenden Worte für die Wahrheit. Er konnte ihr doch nicht einfach erzählen, dass er ein unsterblicher Hüter einer machtvollen Reliquie war, dass sein Leben seiner Mission gewidmet war, und es für zärtliche Gefühle keinen Platz gab? Selbst wenn er ihr dies sagen würde, würde niemand, der bei klarem Verstand war, so einer Geschichte Glauben schenken.
Zum Glück waren sie im Flugzeug von Lamar gestört worden und seither keinen Moment mehr allein gewesen, aber irgendwann, das ahnte er, würde sie Antworten auf ihre Fragen fordern.
Lamar, der aussah, als wüsste er, was in Juliens Kopf vor sich ging, blickte ihnen entgegen. Cruz lehnte lässig an einem der dicht hintereinander parkenden Kleinwagen, die die enge Gasse verstopften.
„Wir sind hier“, erklärte Julien unnötigerweise und deutete auf die mit zwei goldenen Ringen verzierte Tür vor sich. Er erinnerte sich, dass er diese bei seinem letzten Besuch noch als Türklopfer verwendet hatte. Inzwischen gab es eine elektrische Klingelanlage mit einem handgeschriebenen Namensschild: Zanchetti
Das schrille Ringen war selbst vor der Tür zu hören, als Julien den Knopf drückte. Es dauerte lange, bis schlurfende Schritte zeigten, dass doch jemand zu Hause war, und noch länger, ehe ihnen geöffnet wurde.
Fay kam sich vor wie ein Kind, das die Spannung zwischen den Eltern spürt, dem man aber den Grund dafür vorenthielt. Und darum fühlte sie sich auch so unsicher. Überfordert von der Situation, in der sie sich befand. Noch nie war sie aus Paris hinausgekommen, und nun tappte sie ahnungslos hinter Julien und seinen merkwürdigen Freunden her, mitten durch Rom. Ohne zu wissen, wohin sie sie führten oder was sie vorhatten, um ihre jüngere Schwester Chloé aus den Fängen ihres Entführers zu befreien.
Hinzu kam, dass sie keine Ahnung hatte, was zwischen ihr und Julien los war. Seit dem Kuss im Flieger hatte er es vermieden, allein mit ihr zu sein. Bei der Erinnerung daran ballte Fay die Hände zu Fäusten. Sie verstand einfach nicht, warum. Sein Kuss war so wundervoll gewesen. Tief und hungrig hatte er sie geküsst, als verzehrte er sich regelrecht nach ihr. Als wollte er mehr …
All dies verwirrte sie, sodass sie sich nun vor dieser verschlossenen Haustür fragte, ob Rom ihr Antworten liefern konnte oder nur noch mehr Fragen aufwerfen würde.
Sie straffte die Schultern und strich sich eine Locke zurück auf den Rücken, als sich die Tür endlich einen Spaltbreit öffnete.
Eine alte Frau, sicher schon achtzig, schätzte Fay, machte ihnen auf.
„Sì?“, fragte sie und hob ihnen ihr blasses, von Falten durchzogenes Gesicht entgegen. Sie hatte die Augen geschossen und streckte langsam eine Hand nach vorne.
Obwohl Fay weder Julien noch dessen Begleiter besonders gut kannte, bemerkte sie die Wertschätzung, die die Männer der Frau mit dem schlohweißen Haar entgegenbrachten.
„Alessa“, flüsterte Julien liebevoll und reichte ihr seine Hand.
Überrascht schienen sich die faltigen Finger der Alten um seine kräftige Männerhand zu schließen, und sie stieß die Tür weit auf, um näherzukommen.
„Bei allem, was mir heilig ist …“, keuchte sie mit
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