Von Flammen verzehrt
entdeckte Fischer, der mit einer Pistole in der Hand von Säule zu Säule schlich. Wusste er denn nicht, dass er gegen die Unsterblichen damit nichts ausrichten konnte?
Eine Bewegung am Obelisken riss sie aus ihren Gedanken, und sie erstarrte, als sie sah, was dort vor sich ging. Einer von Juliens Männern, ein blonder Hüter, präsentierte dem Wanderer einen faustgroßen Rubin.
„Nein!“, keuchte sie.
Es schien, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Er durfte das Elixier nicht in seine Hände bekommen! Er würde es verwenden, um sie zu vernichten, das wusste sie.
Und Colombier? Wie konnte er sie so verraten? Er hatte beim Leben dieses nichtsnutzigen, blinden Mädchens geschworen, die Wahrheit verborgen zu halten und dafür zu sorgen, dass das Lügengerüst der Kirche nicht bedroht wurde!
Sie kauerte sich hinter den Brunnen, obwohl sie am liebsten ihre Wut hinausgeschrien hätte. Die Welt verschwamm ihr vor Augen, so schmerzte die Erkenntnis, wirklich und wahrhaftig allein und umringt von Feinden zu sein.
Sie erhob sich auf die Füße, spähte über den Beckenrand des Brunnens und zog die Waffe. Ihr Puls raste, als sie den Abzug drückte und der Rückschlag ihr einen harten Stoß versetzte.
Der Schuss hallte über den heiligen Platz und ließ für Sekundenbruchteile jede Bewegung erstarren, ehe panische Schreie auf den Knall folgten.
Fay erkannte das Geräusch als Schuss, konnte ihm aber keinen Sinn zuordnen. Sie war unfähig, sich zu rühren, und sah hilflos mit an, wie ein Stück des Obelisken abplatzte und in kleinsten Teilchen auf ihre Schwester niederregnete. Sie hörte die Schwerter der Hüter aus ihren Scheiden gleiten, sah den Wanderer den Rubin an sich reißen und Arjen mit einem Tritt zu Boden befördern. Julien hob sein Schwert und machte einen Satz auf den Wanderer zu.
Ein weiterer Schuss zerriss die Luft, und Lamar drückte Fay zu Boden.
„Bleib unten!“, rief er und baute sich vor ihr auf. Alles geschah wie in Zeitlupe. Während eines Herzschlags registrierte sie, wie Lamar sich aus dem Schutz der Gruppe löste und seinen langen Dolch hob. Er drängte nach vorne, an Chloés Seite.
Eine kreischende Touristin duckte sich vor den Brunnen, und Fay überlegte, wovor diese sich in Sicherheit brachte. Dann sah sie die dunkelhaarige Frau mit der Waffe.
Fays warnender Schrei klang selbst in ihren Ohren erschreckend schrill und vermischte sich mit den vielstimmigen Flüchen der Hüter, die erkannten, was Fay nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Gardisten in ihrer blauroten und gelben Uniform rückten auf den Platz vor und umringten mit nach vorne gerichteten Hellebarden das Geschehen. Das rote Funkeln ihrer Waffen ließ Fay das Blut in den Adern gefrieren und sich ängstlich nach Julien umsehen. Der schien mitten in der Bewegung erstarrt, offenbar hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, auf den Wanderer loszugehen und dem Drang, sich und seine Männer in Sicherheit zu bringen.
Vielleicht ist er aber auch nicht erstarrt , dachte Fay wie in einem Traum, sondern die Zeit läuft so langsam. Erst jetzt tat ihr Herz seinen nächsten Schlag. Es mussten Stunden seit dem letzten vergangen sein.
Als wären sie von erstarrendem Harz umgeben, das jede ihrer Bewegungen lähmte.
Das laute Lachen des Wanderers klang surreal – in einer Situation wie dieser vollkommen fehl am Platz, und das erregte Fays Aufmerksamkeit.
Er ließ die Wahrheit in seinem Pelz verschwinden, und der kalte Zug um seine schmalen Lippen sah aus, als amüsierte er sich. Er hielt seinen Rubindolch in der Hand, die Julien gefährlich nahe war, und riss fest an der Kette, die ihn mit Chloé verband.
Chloés plötzlicher Schmerzensschrei fraß sich in Fays Herz, und sie verstand nicht, was geschehen war, als sich das Kleid ihrer Schwester rot färbte und sie gequält zu Boden stürzte.
Die Fessel an des Wanderers Hand hatte sich gelöst, und er ging auf Julien los.
„Chloé!“, rief Fay und kroch zu ihrer Schwester hinüber. Sie schrie noch immer, und dieser Laut zog Fay beinahe die Haut ab, so unerträglich war er. Chloé riss verzweifelt an ihrem Kleid. Es schien ein Wickelkleid zu sein, und sie war dabei, es zu öffnen.
„Was ist passiert?“, fragte Fay hilflos.
Wie ein roter Gürtel glänzte das Blut um Chloés Hüfte.
Marzia beobachtete das Treiben auf dem Platz. Sie hatte keine Augen für die zwei Frauen und nahm nur am Rande wahr, wie die Gardisten vergeblich versuchten, es mit den
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