Von Kamen nach Corleone
Segelregatta gefragt habe, ob die Mitglieder des Circolo Italia tatsächlich Prinzen oder nicht vielmehr Seemänner seien, weil sie an keinem Gesellschaftsempfang teilnähmen. Was die Clubmitglieder dazu inspiriert habe, am nächsten Tag im Frack zu segeln. Oder dass Damen lediglich als Gäste erwünscht seien, nicht jedoch als Mitglieder, weil der Circolo sonst zu einem Canasta-Club verkomme.
Während der Ehrenpräsident erzählte, streichelte der Sommerwind ganz sanft über mein Gesicht. Und obwohl ich mich für meine Gedanken schämte, über den Müll und das verseuchte Leben und das, was man Il sistema nennt, war es plötzlich da, das schreckliche Wort. Camorra . Mit einem Mal gefror alles, als sei die Rede von einer Obszönität.Die alten Agnellis blickten stumm in ihre Aperitifgläser. Die Segelmasten ächzten nicht mehr. Der Wellenschlag erstarrte. Und der Mann mit den türkisblauen Augen sagte: »Ach, wissen Sie, das ist ein Problem der Peripherie, die Neapel überrennt.«
Alessandra lächelt. Sie kennt ihre Stadt und deren Abgründe. Eine Zeit lang lebte sie in Kuba, und wie jeder Neapolitaner fühlte sie sich schuldig, weggegangen zu sein. Als hätte sie Neapel im Stich gelassen. Dann kehrte sie wieder zurück. Und die Stadt tat so, als sei das gar nicht nötig gewesen. Eine Stadt, deren Golf wie ein glitzernder Umhang ausgebreitet vor uns liegt – ein Anblick, den Alessandra jetzt allerdings nicht genießen kann, weil sie unter das Steuerrad ihres Autos gekrochen ist, wo sie mit einer komplizierten Abfolge von Schließen und Entriegeln die stählernen Fesseln und Riegel zu lösen versucht, mit denen in Neapel Autos gesichert werden müssen.
Alessandra setzt mich kurz vor dem Hotel ab, die letzten Meter mache ich zu Fuß, wegen der Einbahnstraße. Auf dem Bürgersteig sind so viele Menschen unterwegs, als sei Mittagszeit und nicht fast Mitternacht. Kurz vor dem Eingang zum Hotel höre ich, wie mich jemand ruft. Ich drehe mich um und sehe Gino. Er umarmt mich wie eine wiedergefundene Schwester. Im Schein der Straßenlaterne sehe ich, dass seine Augenbrauen frisch gezupft sind. Nein, er habe die Stadt nicht verlassen, er sei nur an das andere Ende der via dei Tribunali gezogen, in einen neuen Laden, dessen Miete etwas niedriger sei. »Warum sollte ich denn aus Neapel weggehen?«
14
Am nächsten Morgen kann ich endlich das tun, wovon ich seit zweitausend Kilometern geträumt habe: auf den Knopf zu drücken. Sirrend faltet sich das Verdeck zusammen und verschwindet in dem Fach am Heck. Doch schon als ich an einer Ampel unweit des Archäologischen Museums stehe, bereue ich meine Kühnheit, denn in dem flachen Alfa Spider sitze ich genau in der Höhe der Auspuffrohre der Laster. Bereits nach der ersten Ampelphase fühle ich mich wie betäubt. Spiderfahren hat seinen Preis.
Auch ohne Stadtplan habe ich die Straße gefunden, die zur Autobahn führt, der Spider schraubt sich höher und höher, vorbei an Läden, in denen Terrakottatöpfe und Padre-Pio-Statuen aus Marmor verkauft werden, Kurve um Kurve, bis man nichts anderes sieht als das Meer, den Vesuv und den Himmel. Der ganz hoch und licht ist, immer noch gläsernes Blau, das von kleinen Wolken wie mit weißen Federstrichen durchzogen wird.
Vor mir fährt ein tomatenroter Laster, auf dessen Ladeklappe in riesigen schwarzen Buchstaben steht: Sempre invidia, mai pietà . Was der italienischen Redensart entspricht, dass es erstrebenswerter sei, beneidet zu werden, als bemitleidet. Vor dem Kassenhäuschen der Stadtautobahn lagert ein Schwarm aus Bettlern, albanischen Fensterputzern, afrikanischen Tempotaschentuchverkäufern undZigeunerinnen, die Babys in Tüchern um die Hüfte gebunden haben. Ich fahre vor, und sofort klebt der Schwarm an dem Alfa. Damit ich nicht gleich an der erstbesten Ampel ausgeraubt werde, hatte ich meine Handtasche im Kofferraum eingeschlossen. Was sich nun als Problem erweist. Unter den begierigen Blicken der Bettler steige ich aus, öffne den Kofferraum, entnehme das Portemonnaie und zahle mein Billet. Und der Kassierer zischt: »Sind Sie verrückt geworden? Fahren Sie schnell weiter, die Leute sind gefährlich! «
Das will ich auch tun, aber als ich losfahren will, rufen die Bettler: »Signora! Signora!« Und machen mich darauf aufmerksam, dass die Kofferraumklappe noch geöffnet ist. Ein afrikanischer Tempotaschentuchverkäufer schließt sie mit hoheitsvoller Geste. Und winkt mir nach.
Ich bin zum Mittagessen in Nocera
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