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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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herrschte und der Bijou und ihre Mutter in besonderer Weise auszeichnete, wie Gino betonte.
    Bijou wohnte mit ihrer Mutter in zwei ebenerdigen Zimmern, einem Schlafzimmer und einer Küche mit hellgrauem Fliesenboden, Einbauschränken und der heiligen Rita im Hausaltar. Unter der Küchenlampe hing immer Zigarettenrauch, denn von drei Uhr nachmittags bis acht Uhr abends verwandelte sich diese Küche in eine Spielhölle für die Frauen des Viertels. Bijou und ihre Mutter verdienten bei jeder Runde fünf bis zehn Euro pro Spielerin. Nach acht zogen die Frauen weiter zur nächsten Bingohalle, wo sie bis zum Morgengrauen weiterspielten.
    Es war am frühen Abend, Bijou stand im zerschlissenen Unterrock in ihrer Küche und fegte die Zigarettenkippen zusammen, mit denen der Fliesenboden übersät war. Für sie und ihre Mutter sei die Spielhölle die einzige Einkommensquelle, ihr Bruder könne nicht für sie aufkommen, sagte sie entschuldigend. Er hatte eine kleine Taschenfälscherwerkstatt betrieben – bis böse Menschen die Finanzpolizei geschickt hätten, wie die Mutter sagte.
    Wenig später stand auch der Bruder in der Küche, Sergio. Auf einen Arm hatte er ein Porträt von Al Pacino tätowieren lassen, das man allerdings unter der dichten Behaarung nur erahnen konnte. Sergio arbeitete nun bei einem Lederwarenfabrikanten. Für zweihundert Euro pro Woche stellte er »personalisierte« Taschen her: Taschen, die aussahen wie Gucci-Taschen, aber »Mario« hießen. Sie wurden von afrikanischen Taschenhändlern verkauft, denn die seien die Einzigen, die nie verhaftet würden. Bei ihnen drücke die Polizei ein Auge zu, wohl um nicht als Rassisten zu gelten. Produziert wurde je nach Auftragslage. Meist war sie schlecht.
    »Unser Ruin waren die Chinesen«, sagte Sergio. »Sie kopieren noch schneller. Und billiger.«
    Ein schwacher Charakter ginge natürlich zur Camorra,sagte er, und Bijou nickte. Und dann zog auch er weiter zur nächsten Zockerhöhle, einem fensterlosen Billardsaal, wo Carambole gespielt wurde, Billard ohne Queue, und wo an der Wand ein Foto des ermordeten Bosses Beppe Giuliani hing. Neben Padre Pio, dem Lieblingsheiligen der Mafia.
    Wieder komme ich an Ginos Laden vorbei. Der immer noch dunkel ist. Auch unter seiner Telefonnummer meldet sich niemand. Gegenüber sitzt eine Frau auf einem Plastikstuhl und döst. Oder besser, sie tut nur so, als döste sie und beobachtet jeden meiner Schritte. Ich frage sie nach Gino. Sie zuckt mit den Schultern. Und schnalzt kurz und so abfällig mit der Zunge, dass ich nicht wage, eine weitere Frage zu stellen. Vielleicht ist Gino nur eine Straße weitergezogen, vielleicht ist er tot, vielleicht im Gefängnis? Oder ist er zum Hoffotografen eines Camorrista aufgestiegen? Die Frau schließt die Augen.
    Inzwischen ist es dunkel geworden, aber an der Piazza Bellini kann man noch draußen sitzen, unter einem Sternenhimmel, bei dessen Anblick man an ewigen Sommer glaubt. Über den Platz zieht ein zerlumpter Mann, der einen Kinderwagen vorbeischiebt, in dem Britt-Schwämme, Klobürsten, Plastikhandschuhe, Tempotaschentücher, Feuerzeuge in Form einer Handgranate und Spülmittel mit Blutorangenaroma liegen. Am Verdeck des Kinderwagens baumeln pinkfarbene Handfeger im Sonderangebot, und der Zerlumpte lächelt resigniert, als ich sein Angebot ablehne, drei Handfeger für den Preis von einem zu kaufen.
    Ich setze mich an einen der letzten freien Tische im Café Intra Moenia. Am Nebentisch sitzt ein Mann mit bläulichen Lippen, ein Mann, der weder isst noch trinkt, sondern wie besessen schreibt, gebeugt, hingebungsvoll, mitblauer Tinte. Er schreibt, ohne aufzublicken, Seite um Seite, und wird von niemandem außer mir beachtet. Die Seiten stapeln sich auf seinem Tisch, sie sind schräg beschrieben, oben ist der Rand breiter als unten, das schiefe Schriftbild hat etwas rührend Kindliches an sich. Ob er einen Roman schreibt?
    Die bläulichen Lippen des Mannes erinnern mich an den Staatsanwalt Franco Roberti. Alls ich ihn zum ersten Mal in der Antimafiastaatsanwaltschaft von Neapel traf, saß er im eisigen Hauch einer Klimaanlage und zog mit seinen bläulichen Lippen an einem erloschenen Zigarillo. Roberti hatte mir von den Geschäften des Clans Licciardi in Deutschland erzählt – eines Camorra-Clans, dessen erfolgreiche Auslandsgeschäfte zum Vorbild für viele andere Camorra-Clans wurden.
    Nach dem Krieg hatten die Liccardis damit Geld verdient, dass sie in Italien von Haustür zu Haustür

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