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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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Women’s Voters League die Vereinigungitalienischer Wählerinnen gegründet, die Preise an besonders engagierte Antimafiakämpferinnen verleiht. Was sie nicht daran hindert zu sagen: »Ich hasse Feministinnen.«
    Wir essen im Jugendstilsalon, in dem von den antiken Lichtschaltern bis hin zum marmornen Bidet auf der Gästetoilette seit hundert Jahren alles unverändert ist. »Bitte setzen Sie sich doch mit Blick auf den Garten«, sagt die Baronessa und gibt den beiden livrierten Hausdienern ein Zeichen. Während des ganzen Essens stehen sie da wie Statuen, in die von Zeit zu Zeit Bewegung gerät, weil sie noch etwas Lasagne reichen, Wein nachschenken, die Teller abräumen, Brotkrümel mit einem kleinen, silbernen Messer entfernen, all das unter den Nixenaugen der Baronessa, der keine Bewegung ihrer weiß behandschuhten Angestellten entgeht. Den Kaffee nehmen wir vor dem Kaminfeuer ein, unter der Chronologie der italienischen Könige sitzend. Über dem Kaminsims hängt ein Florett und eine verstaubte Fechtmaske.
    Manchmal kann es schon Widerstand sein, wenn man einfach nur darauf beharrt, zu bleiben.
     
    Es dauert nicht lange, und ich sehe wieder das Meer. Es liegt da wie grau schimmerndes Metall, der Horizont verschwimmt in rosa getränkte Wolken. Das Stück Autobahn kurz vor Salerno windet sich fast so atemberaubend wie die Amalfitana an der Küste entlang, manchmal verläuft die Autobahn sogar zweigeschossig, weil nicht mehr als eine Fahrspur am Hang Platz findet.
    Nach Salerno biegt die Autobahn in das Land ein, bald kann man das Meer nur noch ahnen, ein Leuchten in der Ferne. Schöner ist es, die Strecke Neapel-Reggio-Calabria direkt am Meer entlang mit dem Zug zu fahren. Wo sich die Buchten mit melancholischen, verlassenen Strändenaneinanderreihen. Gegen Abend will ich in Lamezia Terme sein, in der Provinz Cosenza.
    Schon nach wenigen Kilometern gerate ich wegen einer Baustelle in einen Stau. An der Autobahn Salerno-Reggio-Calabria wird seit Menschengedenken gearbeitet. Sie ist so etwas wie der Turmbau von Babel. Obwohl hier nichts Besonderes vollbracht werden soll, jedenfalls nichts, was die Ingenierskunst überfordern könnte. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, die Bosse der ’Ndrangheta zufriedenzustellen.
    Für jedes Teilstück der Autobahn ist ein anderer Clan zuständig. Alle wollen an der Autobahn verdienen. Ohne ihre Gnade bewegt sich kein Bagger, keine Straßenwalze, kein Baulaster. »Sicherheitssteuer«, so nennen die beiden verantwortlichen italienischen Baufirmen das Schutzgeld hier: Drei Prozent verlangen die Clans für die Ausführung der Arbeiten – darüber hinaus werden als Subunternehmer nur Firmen zugelassen, die den Bossen genehm sind. Nicht zuletzt hängt ihr Prestige davon ab, wie sehr es ihnen gelingt, die großen italienischen Bauriesen gefügig zu machen.
    Über der Ebene hängen große Wolken, zum Horizont hin dehnen sie sich aus und zerflattern. Schon verwandelt sich die Landschaft vor meinen Augen wieder in ein Altarbild. In der Ferne über einem Hügel fällt aus dem Wolkendach ein Sonnenstrahl, der sich zur Erde hin auffächert. Gleich wird es Heilige regnen. Ich merke, wie mir ganz fromm zumute wird. Wie als Kind, wenn ich einen Regenbogen sah. Don Tonino würde sagen: Gott ist überall, in den Wolken, im Regenbogen, Gott steckt selbst in diesem Teilstück der Autobahn Salerno-Reggio-Calabria, in der zu dünn aufgetragenen und deshalb aufgeplatzten Asphaltdecke, man muss IHN nur sehen!
    Don Tonino Vattiata ist ein Antimafiapriester aus dem kalabrischen Vibo Valentia. Lange bevor die Bischöfe die süditalienische Bevölkerung in ihrem Bischofsbrief 20 10 dazu aufforderten, sich von den Fesseln der Mafia zu befreien, schloss Don Tonino die Bosse von den Prozessionen aus.
    Als ich Don Tonino kennenlernte, traf ich ihn zusammen mit Giovanna Fronte, einer Anwältin, die Mafiaopfer und abtrünnige Mafiosi vertritt. Don Tonino ist sehr groß und auch etwas dick, oder besser: fest. Sein umfangreicher Leib ist vielleicht das Einzige, womit er der Vorstellung eines süditalienischen Priesters entspricht, ein Leib, den Don Tonino sehr leichtfüßig bewegt. Seine Priesterbinde hängt immer etwas lose um seinen Hals, ein Plastikstreifen, von dem man nicht weiß, wozu er gut sein soll. Giovanna Fronte dagegen ist klein und elektrisch aufgeladen; ich erwarte immer, dass es knistert, wenn sie mich auf die Wange küsst.
    Der Don und die Anwältin sind miteinander so verbunden wie

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