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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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verabredet, mit der Baronessa Cettina Lanzara. Sie wohnt dort in der Villa ihrer Familie, jedenfalls die Sommermonate über, wie es sich für neapolitanische Aristokraten gehört. Die Baronessa ist über neunzig Jahre alt, was man bei einer Dame eigentlich nicht erwähnen sollte, aber dennoch von Belang ist. Denn mit neunzig, so pflegt sie zu sagen, ist man entweder tot oder verblödet.
    Als ich sie anrief, um meinen Besuch anzukündigen, gab sie mir eine detaillierte Wegbeschreibung durch: »Nach der Autobahnabfahrt links abbiegen, die dritte rechts nach der Ampel, dann wieder rechts, an der großen Kreuzung hinter dem Bahnübergang links und dann wieder rechts, an der Tankstelle vorbei, schließlich rechts in die etwas schmale Gasse, vorbei an dem Supermarkt, dahinter links abbiegen. Können Sie mir das bitte wiederholen?« »Nein«, sagte ich. Also entschied die Baronessa, dass mich ihr Hausdiener in der Stadt auflesen werde, hinter der dritten Abzweigungnach dem Bahnübergang, gleich vor der Tankstelle, links von – und als ich mich noch fragte, ob ich links oder rechts abbiegen sollte, da hatte mich der Diener bereits bemerkt und fuhr nun mit seinem Wagen voraus.
    Nocera ist das, was von einer Stadt übrig bleibt, wenn die Camorra zusammen mit willfährigen Politikern und Unternehmern die Herrschaft übernimmt: ein Labyrinth aus Beton. Wohntürme, die aussehen wie gestrandete Ozeanliner, umringt von stahlbewehrten Mauern, vielgeschossige Beweise für den condono , den Straferlass für Schwarzbauten, der in Italien regelmäßig von jeder Regierung erlassen wird, dazwischen Garagen, Supermärkte, Lagerhallen. Und Geschäfte für Büffelmozzarella, die Spezialität Kampaniens.
    Und mittendrin steht die Villa Lanzara, der einzige Ort, der noch nicht vom Beton verschlungen wurde: ein zweihundert Jahre alter Landsitz, in dessen Park die Baronessa auf einer weißen Bank sitzt und mich zu sich winkt. Über die moosigen Wege laufe ich zu ihr hin, vorbei an Malmaisonrosen, Zypressen, Palmen, Eichen, Kamelienbäumen und einer himmelhohen Palme, einer dreißig Meter hohen Washingtonia robusta , deren Wipfel wie ein Zeichen des Widerstands über Nocera weht.
    Die Baronessa hat karmesinrote Lippen und karmesinrote Fingernägel, und der Blick ihrer grünen Nixenaugen ist wie immer spöttisch. Sie trägt eine Perlenkette und ein pinkfarbenes Kostüm, ihr Haar hat die Farbe von Ebenholz und ist sorgfältig frisiert, ihre Hände ruhen auf dem Elfenbeinknauf eines Spazierstocks – und erheben sich nun ganz leicht, um dem Hausdiener mit einer matten Geste zu bedeuten, er möge bitte das Aperitif-Gebäck reichen.
    In der Tat ist die Villa Lanzara ein Nest des Widerstands in Nocera. Des Widerstands gegen die Herrschaft derer,die man in Neapel lazzaroni nennt, Lumpenpack. Das schon der Bourbonenkönig Ferdinand IV. mit Geschenken bedachte, um sich seine Macht zu sichern – so wie die italienischen Politiker bis heute mit der Camorra kungeln. Die Camorra, die aus den Bandenstrukturen der lazzaroni hervorgegangen ist.
    Erst kam der Zweite Weltkrieg, dann das Erdbeben von Irpinia, das weite Teile des neapolitanischen Hinterlandes zerstörte, dann der Triumph der Camorra: Viele neapolitanische Adlige verließen die Stadt. »Aus Feigheit«, wie die Baronessa bemerkt. Sie hingegen blieb, während die Landschaft um sie herum zum Zerrbild verkam. Bis hin zu einem Schwarzbau, der über die Mauern der Villa Lanzara ragt. Immer noch wird in der Villa eingebrochen. Die Diebe stahlen Kommoden, Empiretische, Gemälde, aus dem Garten verschwanden alle Statuen. Und die Baronessa erzählt davon so gleichmütig, als würde sie einen verregneten Sommer beklagen. Bis in die sechziger Jahre war Nocera eine kleine, anmutige Stadt, umgeben von Eichenwald – gerühmt von Goethe und vom schwedischen König Gustav VI. Adolf, der als passionierter Archäologe den Ort eigens wegen des frühchristlichen Taufbeckens von Santa Maria Maggiore besuchte – der einzigen Sehenswürdigkeit. Die vermutlich nur noch existiert, weil die Camorra den Wert der byzantinischen Säulen der Taufkirche nicht einschätzen konnte.
    Ungeachtet ihres hohen Alters organisiert die Baronessa Empfänge, im Sommer in der Villa, im Winter in Neapel, Empfänge für hundert Personen. Sie schreibt und hält Reden, sie ist Präsidentin der historischen Residenzen der Region Kampanien, sie versucht, die Meisterwerke des neapolitanischen Barocks zu bewahren, und sie hat nach dem Vorbild der

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