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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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wenig später auf der Terrasse der Zi’ Teresa sitzen und vergeblich darauf warten, dass jemand unsere Bestellung aufnimmt.
    Alessandra spricht von ihrer Hassliebe zu ihrer Heimatstadt, einer Stadt, in der permanenter Ausnahmezustand herrscht, ein permanenter Bürgerkrieg, eine permanente Müllkrise, eine permanente Daseinskrise. Und noch dazu müsse man hier auch noch politisch-korrekte Lippenbekenntnisse aushalten, etwa als der damalige Regionalpräsident Antonio Bassolino verkündete: »Die Moral war immer mein Leitstern« – nachdem die Staatsanwaltschaft Anfang 2008 gegen ihn Anklage wegen Betrugs und Amtsmissbrauchs erhoben hatte.
    Zu Beginn seiner Amtszeit wurde Bassolino in Neapel wie ein Heiliger verehrt, er stand als Krippenfigur in der via San Gregorio, der Straße, in der die traditionellen Krippenfiguren verkauft werden. Später hingen lebensgroße Puppen mit der Aufschrift »Bassolino« in den Bäumen der Innenstadt. Bassolino, der einstige Gewerkschafter, verhieß Hoffnung, als es ihm gelungen war, den G8-Gipfel in die Stadt zu holen, aber schon bald machte sich der Linksdemokrat mit seiner Vetternwirtschaft verhasst. Resigniert mussten die Neapolitaner erkennen, dass die Camorra selbst in den Jahrzehnten der Bassolino-Linksregierung bestens weiter gedieh.
    Und doch, denke ich, wer auf der Terrasse des Borgo Marinaro sitzt, dem bricht Neapel das Herz. Mit dem im Mondlicht glitzernden Golf von Neapel, mit den ins Licht getauchten Mauern des Castel Dell’ Ovo, dieser Festung im Meer, und mit dem türkisblau leuchtenden SchriftzugTransatlantico, der wie eine Verheißung klingt, obwohl er nur der Name des gegenüberliegenden Restaurants ist. Und obwohl Alessandra mir gerade eindrücklich davon erzählt, dass die Polizei vor wenigen Jahren hier im Hafen Schwärme von Hubschraubern einsetzte, um die Zigarettenschmuggler zu jagen, was man von den Tischen bei Zi’ Teresa nur allzu gut beobachten konnte, denke ich, wie einfach es ist, zu Füßen von Santa Lucia, alles zu vergessen, den Müll und die Toten und die Schamlosigkeit. Denn hier hört man nichts anderes als sanften Wellenschlag, das Ächzen einiger Segelmasten und den Gläserklang des Aperitifs.
    Nebenan ist die Terrasse des Circolo Italia, des ältesten und exklusivsten Segelclubs Neapels. In den man hineingeboren wird, insofern man zu den zweihundert Gründungsfamilien des Clubs gehört, zu denen Neapels namhafte Industrielle und Universitätsprofessoren gehören, Richter und Aristokraten, darunter auch jene, die zur Schatzkommission von San Gennaro gehören, jenes Schutzheiligen der Stadt, dessen Blut sich zwei Mal im Jahr verflüssigt.
    Einmal durfte ich dort zu Mittag essen, auf Vermittlung eines guten Freundes. Den Aperitif nahmen wir vor einem offenen Kaminfeuer ein, in nilgrünen Ledersesseln. Zu Tisch baten uns Kellner, die weiße Handschuhe trugen und eine weiße Livree mit goldenen Schultertressen, Kellner, die ihrerseits Söhne von Circolo-Italia - Kellnern waren und die geduzt wurden, weil die Mitglieder keinen Wert auf Förmlichkeiten legten. Die Damen wurden mit Handkuss begrüßt, und die Benutzung eines Mobiltelefons war unerwünscht. An dem Tisch, der den alleinessenden Gründungsmitgliedern vorbehalten war, saßen zwei alte Herren, die schweigend und mit aufgestützten Ellenbogen aßen, einer von ihnen sah aus wie ein vertriebener König. Er rollte vergrämt seine Spaghetti auf, und aus der Brusttasche seinesmaßgefertigten Jacketts ragte ein Seidentüchlein wie eine welke Blüte.
    Ich weiß noch, dass neben mir ein Rechtsprofessor saß, dem Haare aus den Ohren wuchsen, und dass sich die Tischkonversation ausschließlich um die Beschaffenheit von Mürbeteig drehte. Angeregt erörterte man, wie der Teig auszurollen sei und ob sich als Füllung besser Aprikosenmarmelade eigne oder bittere Schokolade, weil Letztere einen größeren Kontrast zur Süße des Teiges ergebe. Und ich dachte daran, dass die englischen Kolonialherren in ihren Clubs in Indien sicher auch Plätzchenrezepte ausgetauscht haben.
    Auf der Terrasse saßen Männer, die aussahen wie alte Agnellis, mit sonnengegerbter Haut, Siegelringen und der Überzeugung, dass sich der Wind immer zu ihren Gunsten dreht. Schöne alte Männer mit türkisblauen Augen. Die im Schimmer eines vanillefarbenen Leinenjacketts ruhten. Die Eiswürfel in ihren Aperitif gläsern klingen ließen und jahrhundertealte Anekdoten erzählten. Etwa, als sich die Gazette de Nice während einer

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