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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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zogen und Kleidung verkauften – bis sie schließlich Deutschland entdeckten. Hier fingen sie als magliari , als Textilvertreter, an, verfeinerten ihr Angebot und verkauften schließlich gefälschte Markenkleidung. Nicht umsonst ist Neapel das Mekka der Fälscher, in Neapel wird alles gefälscht, von der Gucci-Handtasche bis zum Büffelmozzarella. Die Clans waren auch die Ersten, die den globalisierten Markt für sich zu nutzen wussten: Sie stellten die gefälschte Markenkleidung nicht länger in Neapel her, wo selbst die Schwarzarbeit zu teuer war, sondern in China und in Thailand. Dann wurden die in China oder Thailand gefälschten Designerlederjacken oder Lacoste-Hemden nach Neapel gebracht, per Schiff oder Flugzeug, und in großen Lagerhallen in Norditalien gelagert – und schließlich in Deutschland und in Osteuropa verkauft.
    Der aus Secondigliano im Hinterland von Neapel stammendeClan der Licciardi dominierte das Geschäft mit den gefälschten Waren in Deutschland. Der später inhaftierte Boss Pierino Licciardi wurde von den anderen Camorristi erfürchtig »römischer Kaiser« genannt. Der Kronzeuge Gaetano Guida sagte den Ermittlern aus:
     
    In Deutschland, in Städten wie Hamburg, Dortmund und Frankfurt, gibt es viele dieser Geschäfte, die Lederjacken verkaufen, Geschäfte, die von Pierino Licciardi gesteuert wurden, aber der Boss Costantino Sarno hatte auch Geschäftsinteressen. Ich weiß sicher, dass Pierino Licciardi auch internationalen Drogenhandel betrieb. Seine Bekleidungsgeschäfte dienen ihm auch als Deckung für den Rauschgifthandel. Das Geschäft mit den Lederjacken bietet bereits eine enorme Gewinnspanne, und die Geschäftsräume selbst dienen darüber hinaus auch als Treffpunkte für die internationalen Rauschgifthändler. Mit dem Geld aus dem Verkauf der Lederjacken werden die Rauschgiftlieferungen bezahlt. Deshalb hat man in diesen Geschäften immer enorme Summen von Bargeld zur Verfügung, um die Drogen zu bezahlen. Der Handel mit den gefälschten Lederjacken und der Rauschgifthandel sind also eng miteinander verknüpft, weil der Gewinn aus dem Verkauf der Lederjacken in den Kauf von Drogen investiert wurde.
     
    Die neapolitanischen Ermittler waren bereits kurz nach dem Fall der Mauer darauf aufmerksam geworden, dass die Licciardi von Hof in Niederbayern aus nicht nur die Märkte in Ostdeutschland, sondern auch in Ungarn und Rumänien eroberten – Ende der neunziger Jahre hatten sie ihr Angebot ausgeweitet, von gefälschter Markenkleidungüber gefälschte Bosch-Bohrmaschinen bis hin zu Fotoapparaten. Hinzu kam das Kokain, das ebenfalls in den Geschäften gelagert wurde. In Geschäften in Chemnitz, Hof, Dortmund, München, Frankfurt, Berlin. Ein lohnendes Geschäft. Die Gewinnspanne für eine gefälschte Lederjacke liegt bei über dreitausend Prozent. Dessen Erlöse wurden umgehend investiert. In Drogen und Immobilien, in Luxusrestaurants und Hotels.
    »Bis heute investieren die Camorristi in Deutschland vor allem in Bekleidungsgeschäfte und Restaurants«, sagte Staatsanwalt Roberti. »Wenn ihr in Deutschland einen Italiener seht, einen Kalabresen oder einen Neapolitaner, der ein Geschäft eröffnet, dann solltet ihr genau hinsehen, woher sein Geld kommt.«
    Der Mann mit den blauen Lippen schreibt immer noch. Ein ganzer Stapel engbeschriebener Seiten liegt auf dem Tisch. Wieder schaue ich dem Mann über die Schulter und versuche etwas zu entziffern. »Durchmesser: 90 Zentimeter« steht da. Ich kneife die Augen zusammen und lese: »Metallschüssel« . Das klingt nach einer bedrückend prosaischen Natur. Doch nicht etwa ein Kriminalautor? Oder ist er Avantgardist? Experimentelle Literatur? Ich rücke näher. Verstohlen lese ich den letzten Absatz. Er beginnt mit: »Angesichts der Tatsache, dass das Delikt straffrei ist.« Doch kein realistischer Roman. Sondern die Verteidigungsschrift eines Rechtsanwalts. Es geht um eine unrechtmäßig angebrachte Satellitenantenne. Schade.
    Alessandra überquert die Piazza Bellini und winkt mir schon von weitem zu, bahnt sich einen Weg durch die Tische zu mir, umarmt und drückt mich, bis ich das Gefühl habe, nach langer Zeit wieder nach Hause gekommen zu sein. Sie schlägt vor, dass wir wie üblich unten in Santa Lucia zu Abend essen, bei Zi’ Teresa, in einem Lokal amBorgo Marinaro, wo wir jedes Mal unser Wiedersehen feiern. Eines der ältesten Lokale Neapels. »Mit den ältesten Kellnern Neapels«, wie Alessandra wieder einmal feststellt, als wir

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