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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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wiedergefunden zu haben. Endlich einen Ort zu haben, wo sie ihn beweinen kann – wie ich in Rom bei den »Generalständen der Mafia« erfahren habe. Ihre Geschichte will ich hören.
    Als ich mit einer leichten Verspätung in der Kanzlei ankomme, wartet die Mutter bereits auf mich. Eine schwarz gekleidete Frau mit roten Haaren und einem seltsam wiegenden Gang. Angela Donato. Meine kalabrischen Freunde hatten mir von ihr erzählt. Alle kennen sie hier, alle kennen hier die Geschichte von dem Knochen.
    Die Signora läuft vor mir in den Konferenzraum der Kanzlei, als kennte sie sich in diesen Räumen gut aus. Schon sitzt sie unter dem Neonlicht an dem Konferenztisch, vor blankpolierten Nussbaumregalen, in denen Aktenordner stehen. Auf dem Schoß hält sie ihre Handtasche, wenn sie auf dem Stuhl sitzt, berühren nur ihre Fußspitzen den Boden. Ihre Arme sind weiß, mit kleinen Sommersprossen übersät. Ihre Hände sind sehr klein. Gleichzeitig sehr kräftig.
    Sie kann es kaum erwarten, ihre Geschichte zu erzählen. »Nicht alle hier haben den Mut, die Wahrheit zu sagen!«, ruft sie kämpferisch und schlägt mit der Handfläche auf den Tisch. Dreiundvierzig junge Männer sind in den letzten Jahren rund um Filadelfia verschwunden, einen kleinen Ort unweit von Lamezia Terme. Ihr Sohn Santo war einer von ihnen. Alle waren junge Männer ohne Vorstrafen, von der ’Ndrangheta angeworben, facce pulite , saubere Gesichter. Eine Zeit lang habe Santo in Bozen gearbeitet, ein paar Kalabrier meldeten unter seinem Namen Baugesellschaften an, Unternehmen, die immer dann in Konkursgingen, wenn sie kurz davor waren aufzufliegen. Als das nicht mehr funktionierte, arbeitete er in einem Lager in Turin weiter für die Bosse. Und natürlich habe sie als Mutter alles gewusst, von Anfang an.
    Sie knetet ihre Handtasche. Ich frage sie, ob ihr Sohn geahnt habe, dass sie alles wusste. Sie gibt mir keine Antwort. Sie ist es nicht gewohnt, auf Fragen zu antworten. Stolz lächelnd sagt sie, dass man ihr nichts vormachen könne. Denn schon ihr erster Mann habe ein paar Probleme mit der Justiz gehabt. Und macht eine Pause. Und ich frage mich, ob sie wirklich zögert oder ob die Pause ihrer Geschichte dienen soll. Aber dann scheint es wieder, als treibe sie der Geständnisdrang, der Wille, ihre Geschichte loszuwerden. Sie präzisiert: Ihr verstorbener erster Mann sei ein Mafioso gewesen, einer, für den sie schon als junges Mädchen ihre Familie verließ, weil sie sich in ihn verliebt hatte. Ein Boss sei er gewesen und sie die Frau des Bosses. Zwar sei sie nicht mit ihm verheiratet gewesen, aber seine Geheimnisse habe sie alle gekannt. Weshalb ihr Sohn ihr nichts habe vormachen können, als er sich mit bestimmten Leuten herumgetrieben habe. Santo, ihr Leben, ihr Fleisch und Blut, ihr Erstgeborener, ihr Heiliger, Santo, sie habe von Anfang an gewusst, dass es so enden werde.
    Erst fing es mit ein paar gestohlenen Motorrädern an, dann verschwanden Autos, schließlich nahmen die Carabinieri ihren Sohn mit einem gestohlenen Wagen fest, einem Wagen, den die ’Ndranghetisti aus dem Dorf gestohlen hatten, zwei Brüder, die eine Autowerkstatt betrieben und mit denen ihr Sohn Santo befreundet war. Von da an hatte sie keine ruhige Minute mehr. Aber das war erst der Anfang. Denn dann entdeckte sie, dass ihr Santo eine Freundin hatte. Sie hatte es daran gemerkt, dass er mehr Geld als gewöhnlich gebraucht hatte. Dass er angeblich sogar etwasGeld aus einem Drogengeschäft für sich behalten habe. Für eine Freundin, die sie nicht zu Gesicht bekam. Das war es, was ihren Argwohn weckte.
    Sie habe geahnt, was sich dahinter verbarg. Seiner Mutter konnte ihr Sohn nichts vormachen, ihr, der Exfrau eines Bosses. Sie fragte seine Freunde, ob Santos Freundin die Tochter von jemandem sei. Einem Boss. Santos Freunde schnalzten nur kurz mit der Zunge, so wie man es tut, wenn man alles und nichts sagen will. Es dauerte nicht lange, dann fand sie heraus, dass sie nicht die Tochter, sondern die Frau von jemandem war.
    Das sei der Moment gewesen, an dem Signora Donato zu ihrer Tochter gesagt habe: »Wir haben deinen Bruder verloren.« Sie habe es ihm sogar selbst gesagt, ihrem Santo: »Wir werden dich nicht finden, sagte sie, wir werden kein Grab haben, an dem wir dich beweinen können.«
    Ich will sie fragen, was Santo darauf geantwortet habe. Doch als ich nur Luft hole, sagt sie schon, dass die Liebesgeschichte weitergegangen sei, immer weiter, eine Geschichte, die sich jenem

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