Von Kamen nach Corleone
Jahren fand hier ein historisches Treffen zwischen den Bossen der sizilianischen und der amerikanischen Mafia statt, umgeben von marmornen Springbrunnen, Zimmerpalmen und jenenmit rotem Tuch bespannten Wänden der Bar, die jedes Wort schlucken. Ein Treffen, das dem Grand Hotel mit Sicherheit mehr Ruhm eingebracht hat als sämtliche Kompositionen Wagners. Kurz zuvor war Giulio Andreotti zu Gast gewesen. Siebenfacher italienischer Ministerpräsident. Und nun als Gehilfe der Mafia angeklagt. Die Tatsache, dass er nur wenige Tage vor meiner Ankunft im Grand Hotel abgestiegen war, so wie immer, wenn er zu seinem Prozess nach Palermo anreiste, trug nicht zu meiner Beruhigung bei.
Erschöpft fiel ich in mein Bett, in eine kalte, knarrende Matratzengruft. Ich starrte in das Dunkel, lauschte meinem Atem und fühlte das Blut in den Adern rauschen. Ich fuhr hoch, weil ich ein Kratzen an meiner Tür hörte. Erst als es dämmerte, schlief ich ein.
Inzwischen hat der Mechaniker den Ölstand geprüft. Er blickt auf den Ölstab wie auf ein Fieberthermometer und schüttelt den Kopf.
»Ein Liter reicht nicht«, sagt er.
»Wie kann das sein«, protestiere ich, »der Wagen ist funkelnagelneu.«
»Bei Neuwagen is dat normal«, sagt er unbeeindruckt. »Die sparen imma son bisken am Öl.« Er streicht mit der Hand über das Verdeck, auf dem winzige Tropfen wie Tau glitzern. »Abba schade, dat se nich offen fahn könn.«
An Wiesen und stacheligen Feldern entlang fahre ich zurück zur Autobahn. Die Felder erinnern mich an Kartoffelfeuer, an den Geruch von verbrannten Schalen und angesengter Erde. Auf einem Balkon steht schon wieder ein Mann und raucht. Der Rauch steigt wie ein dünnes, blaues Fähnchen hoch, unzählige Satellitenantennen hängen an den Balkonen. Dann hat mich die Autobahn wieder.Und das Ruhrgebiet, jene nie endende Stadt, in der Fördertürme stillgelegter Zechen stehen, wie Tiere, Dinosaurier, die kurz davor sind, sich in Staub aufzulösen. An Strukturwandel denkt man hier, an Technologieparks und an Stahlhütten, die nachts in rotem Licht schwimmen. Aber nicht an die Mafia.
3
Der Don hob die Hand. ›Nein, sag lieber nichts. Du hast in Amerika das Paradies gefunden. Du hast ein gut gehendes Geschäft, du verdienst nicht schlecht. Du hast geglaubt, die Welt sei ein ungefährlicher Ort, wo du nach Belieben deinem Vergnügen nachgehen kannst. Du hast versäumt, dir den Schutz wahrer Freunde zu sichern. Schließlich war ja die Polizei zu deinem Schutz da. Es gab Gerichte, dir und den Deinen konnte kein Leid geschehen. Du brauchtest Don Corleone nicht. Nun gut. Du hast mich gekränkt, aber ich bin nicht der Mann, der jemandem seine Freundschaft aufdrängt, der sie nicht zu schätzen weiß – jemandem, der mich für unwichtig hält. ‹
Der Pate lag aufgeschlagen auf meinen Knien. Ich las ab und zu eine Passage laut vor, aß Joghurtschokolade, rauchte Camel mit Filter, und mein Freund fuhr. Er hatte den Paten im Fernsehen gesehen, seitdem versuchte er Marlon Brandos Nuscheln zu imitieren, mit Papiertaschentüchern in den Backentaschen. Wir wollten das Ruhrgebiet so schnell wie möglich hinter uns lassen. Was sich in dem alten Renault allerdings etwas in die Länge zog.
Ich hätte gelacht, wenn mir damals jemand gesagt hätte,dass ich, um der Mafia zu begegnen, gar nicht bis nach Sizilien fahren muss. Dass es reicht, nach Duisburg zu fahren. Nach Bochum oder Oberhausen. Oder nach Wesel, Xanten, Essen oder Dinslaken. Nach Neukirchen-Vluyn oder nach Kaarst. Und dort eine Pizza zu essen. In einem der einundsechzig Restaurants, die laut BKA-Bericht vom Clan Pelle-Romeo betrieben werden sollen, jenem Clan der kalabrischen ’Ndrangheta, deren Mitglieder die Opfer des Duisburger Mafiamassakers waren: Die Hälfte der Restaurants des Clans befindet sich in Nordrhein-Westfalen. Vor allem in Duisburg.
Heute kennt kaum jemand mehr den Paten , dafür haben alle Die Sopranos gesehen. In Deutschland gibt es Soprano -Liebhaber, die können ganze Staffeln auswendig. Sie spielen die Sopranos mit verteilten Rollen, veranstalten Soprano -Partys und erörtern Tony Sopranos vermeintliche Vielschichtigkeit und entschuldigen seine Schwächen – ganz so, als seien sie mit ihm verwandt. In Italien kennt man Die Sopranos auch. Aber man findet sie nicht so lustig wie in Deutschland.
Die größten Verehrer der Mafiafilme sind die Mafiosi selbst. Der aus Palermo stammende Boss Roberto Settineri eröffnete in Miami ein Café mit dem
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