Von Kamen nach Corleone
Sträuchern, ewige Lichter, um die Seelen in der Unendlichkeit zu beschwören, daneben kleine Grabgebinde, mit Plastikrosen und Liebeserklärungen ins Jenseits, Sebastiano ti amo , mit schwarzem Filzstift ungelenk auf ein Stück Pappe geschrieben, vom Regen verwaschen.
Als Giovanni Strangio, einer der mutmaßlichen Killer des Duisburger Mafiamassakers, im März 2009 mit seinem Schwager Francesco Romeo in Amsterdam verhaftet wurde, feierte die deutsche und die italienische Polizei die Festnahme mit Pressekonferenzen in Duisburg und in Reggio Calabria. Als im Februar 20 1 0 zwei weitere mutmaßliche Täter in Reggio Calabria festgenommen wurden, galt der Fall als geklärt. Ministerpräsident Silvio Berlusconi beglückwünschte die Fahnder, der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf pries die internationale Zusammenarbeit und rühmte die Verschwiegenheit der deutschen Ermittler, welche für das Gelingen der Ermittlungen wesentlich gewesen sei.
Die Mafia in Deutschland: eine Erfolgsgeschichte. Das gilt vor allem für die Mafia. Denn kaum hatte man die Leichen von Duisburg beerdigt, wussten die italienischen Geheimdienste aus dem kalabrischen San Luca zu berichten, dass die beiden verfeindeten Clans der Pelle-Romeo und Nirta-Strangio zu einem Waffenstillstand aufgerufen hatten. Danach widmeten sich die Mafiosi der Öffentlichkeitsarbeit,um das beschädigte Image wieder aufzupolieren – und um die Deutschen wieder in jenen tiefen Schlaf zu wiegen, in dem sie sich bis zu jener fatalen Nacht befunden hatten.
Schon während seiner Flucht hatte der mutmaßliche Killer Giovanni Strangio der italienischen Wochenzeitschrift Panorama ein Interview gegeben, in dem er sich als von der Justiz zu Unrecht verfolgter Italiener darstellte, dessen einzige Schuld darin bestehe, in San Luca geboren worden zu sein. Nach seiner Verhaftung konnte der sich in Hochsicherheitshaft befindende Strangio sich dank der tatkräftigen Hilfe seines Anwalts auch noch weiter rechtfertigen: in der Wochenzeitschrift Oggi . Auch in Deutschland verwandelten sich einige blauäugige Journalisten in Propagandadiener der Mafia: Die Verteidiger lancierten Presseberichte von unschuldig verfolgten Pizzabäckern, und manchem deutschen Journalisten wurden herzzerreißende Emigrantengeschichten in den Block diktiert. Von Sippenhaft war die Rede. Und von Rassismus. Nicht aber von den 229 Clans und 900 Personen, die das Bundeskriminalamt in seinem Lagebericht über die ’Ndrangheta in Deutschland aufführt, jener kalabrischen Mafiaorganisation, die mit 45 Milliarden Euro Umsatz im Jahr nicht nur die reichste Mafiaorganisation Italiens ist – sondern auch die beweglichste.
Der kalabrische Staatsanwalt Nicola Gratteri kennt die Gesichter der Bosse aus nächster Nähe, er weiß, wer mit wem verwandt ist und welcher Boss die besten Kontakte zum kolumbianischen Drogenkartell hat. Gratteri hat auch jene Jahre miterlebt, als in Reggio Calabria bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten: Die Clans der ’Ndrangheta bekriegten sich auf blutrünstigste Weise, sie erschossen sich auf offener Straße und jagten Autobomben in die Luft.Mehr als sechshundert Tote kostete der Krieg, bis die Clans Anfang der Neunzigerjahre eine Waffenruhe beschlossen, die pax mafiosa . Wie brüchig dieser Frieden ist, beweisen die Bomben, die in Kalabrien regelmäßig hochgehen: Im April 2008 verletzte eine Autobombe in Gioa Tauro einen Unternehmer so schwer, dass nur noch der Rumpf von ihm übrig blieb, im Februar 2010 wurde in dem beliebten Ferienort Tropea eine Bar in die Luft gesprengt, und im Januar 2010 explodierte eine Bombe vor der Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria.
Als ich Nicola Gratteri das letzte Mal traf, hatte er im Justizpalast von Reggio Calabria gerade ein neues Büro bezogen, mit schöner Aussicht auf die Meerenge von Messina, weil er zum Leitenden Oberstaatsanwalt befördert worden war. Die Beförderung sei keineswegs einstimmig erfolgt, betonte Gratteri. Was ihn freute. Denn Einstimmigkeit lasse stets darauf schließen, dass etwas nicht stimme. Einstimmigkeit sei stets gekauft.
Auf dem Flur zu seinem Büro lagen Stapel von Ermittlungsakten auf dem Boden, kiloweise Untersuchungshaftbefehle. Während ich mit Gratteri sprach, ordnete er seinen Schreibtisch, um keine Zeit zu verlieren. Gratteri ist eine Mensch gewordene Sprungfeder, eine unter Spannung gesetzte Sprungfeder. Er blätterte in einem Aktenbündel und dachte vermutlich die ganze Zeit darüber
Weitere Kostenlose Bücher