Von Kamen nach Corleone
Namen Die Sopranos . Je des Mal, wenn ein Versteck eines Mafiabosses ausgehoben wird, findet die Polizei die DVDs der Paten -Trilogie. Alle Mafiosi wollten so schön und wortkarg sein wie Al Pacino. Schießen wie Tony Montana in Scarface . Je grausamer die Mafia dargestellt wird, desto größer ist die Verzückung der Bosse. Geld, Macht, schöne Frauen. Die Geschichte vom Underdog, der es bis nach ganz oben schafft. Mafiafilme liefern die Rechtfertigung für die Gewalt: Wer ganz nach oben will, muss hart und grausam sein. Auch gegen sich selbst. Nichts kann bessere Vorwände liefern als der Film.
Für die angehenden Mafiosi sind die Mafiafilme Heiligenlegenden – die den Weg der Heldentaten und Prüfungen belegen, den ein Märtyrer auf dem Weg zur Heiligsprechung beschreiten musste. Die italienische RAI, Radiotelevisione italiana , sendet regelmäßig Epen über schweigsame Bosse, die Schnurrbärte tragen und ihre Ehefrau nie betrügen. Etwa die sechsteilige Serie über den sizilianischen Mafiaboss Totò Riina: Der Boss der Bosse . Die Tageszeitung Repubblica berichtete mit Ehrfurcht darüber, dass der Boss den Film in seiner Zelle nach einem kalten Abendessen goutiert habe.
Allerdings werden nicht nur die glamourösen Mafiafilme von den Mafiosi für ihre Legendenbildung vereinnahmt – auch neorealistische Filme wie Il Camorrista wurden zu Ikonen der Mafiosi: jenes preisgekrönte Regiedebüt des Oscar-Preisträgers Giuseppe Tornatore aus dem Jahr 1986, das vom Aufstieg des legendären Camorrista Raffaele Cutolo handelt.
Es war ein schwüler Sommerabend in Neapel, als ich den Film auf einem kleinen Platz im Spanischen Viertel sah. Eine Gruppe von Freiwilligen hatte sich nicht nur der Rettung der Altstadt Neapels verschrieben, sondern auch beschlossen, die Seelen all jener vor der Camorra zu retten, die in den Bassi lebten, jenen illegalen Wohnungen, die sich in die Barockpalazzi hineingefressen haben. Um die Ungläubigen zur Legalität zu bekehren, war zu didaktischen Zwecken ein Freiluftkino eingerichtet worden. Es zeigte Filme, die sich kritisch mit der Mafia auseinandersetzen.
Das pädagogische Ziel wurde allerdings verfehlt, denn die Zuschauer jubelten, als der Schauspieler auftrat, der den Boss Raffaele Cutolo spielte. Sie erkannten sich wieder, in der Sehnsucht nach Stärke und in dem Erleiden der Gewalt, im Kult des Tötens und in der Geste, mit der Il Ca morrista ,der Boss Cutolo, einen Jungen mit dem Gesicht so lange auf die Motorhaube schlägt, bis der Junge tot zu Boden fällt. Und während die Zuschauer jubelten, tönte aus ihren Handys die Filmmusik von Scarface als Klingelmelodie.
Und Gommorah war noch nicht für den Oscar nominiert, da lagen in der Altstadt von Neapel schon die ersten Raubkopien auf den Klapptischen zum Verkauf. Kurze Zeit später wurde einer der Darsteller verhaftet: Zi’ Bernardino, Bernardino Terracino, hatte die Rolle des Erpressers in der Episode gespielt, die von Marco und Ciro handelt, den beiden dünnen Jungs, die am Ende von der Camorra ermordet und verscharrt werden wie zwei Straßenhunde. Zi’ Bernardino, Onkel Bernhard, wurde zusammen mit einer Reihe von Camorristi festgenommen, die von der Polizei verdächtigt wurden, dem Clan der Casalesi nahezustehen und an der Ermordung von sechs Afrikanern in Castelvolturno beteiligt gewesen zu sein. Die Wirklichkeit übertrifft eben immer noch jeden Film.
Bei Ausfahrt 13 der A 59 . Das Herz des Ruhrgebiets ist eine nicht enden wollende Verschlingung von Gabelungen, Autobahnkreuzen, Abzweigungen. Als ich in Duisburg ankomme, ist der Himmel wieder so azurblau, als wollte er den Abschied vom Sommer noch schwerer machen. Vorbei an herausgeputzten Mietskasernen, die aussehen wie kostümierte Zeugen jener versunkenen Epoche, als der Pott noch kochte, vorbei an dem dunklen Klinker des Bahnhofs fahre ich zum Klöcknerhaus, einem silbrig schimmernden Bürogebäude, das aussieht wie eine Raumstation, die notlanden musste. Es wird Silberpalais genannt. Im Ruhrgebiet hat man eben Sinn für Humor. Im Erdgeschoss befand sich die Pizzeria Da Bruno. Die heute nichtmehr Da Bruno heißt, sondern vorübergehend und glücklos Silbertafel. Das Restaurant ist geschlossen. Und wenn man anruft, heißt es: »Kein Anschluss unter dieser Nummer.«
Die Einfahrt, in der die Schüsse fielen, ist mit Verbundpflastersteinen ausgelegt, dazwischen wächst etwas Grün. Als ich einmal an Allerseelen hier war, standen rote Grableuchten zwischen den
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