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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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Weinsuppe nennt man in Italien jenes dunkle Rot. Die Kohlenhalden meiner Kindheit haben sich in grüne Hügel verwandelt, mit Wanderwegen und Fernsicht. Und am Rande der Autobahnstehen jene beige-braunen Tafeln, die woanders auf Schlösser oder Burgen hinweisen, hier aber auf die Schönheit stillgelegter Zechen aufmerksam machen, auf efeuumrankte Kokereien und auf Lichtspiele in ehemaligen Bierbrauereien.
    Schon wieder sehe ich einen Mann auf dem Balkon stehen und rauchen. Ich frage mich, ob in Deutschland immer schon so viele Männer auf Balkons geraucht haben. Das strenge Raucherreglement erinnert mich an die gelben Markierungen auf deutschen Bahnsteigen, in die man sich stellen muss, wenn man rauchen will. Und die von allen Rauchern respektiert werden. Niemand käme auf die Idee, außerhalb der gelben Markierungen zu stehen und zu rauchen. Auch die Mafiosi in Deutschland nicht. Sie sind vermutlich die Ersten, die sich in diese Markierungen stellen.
    Seit einiger Zeit blinkt eine Kontrollleuchte auf dem Armaturenbrett, ich habe versucht, sie zu ignorieren. Dieser Wagen ist fabrikneu, es ist unmöglich, dass ihm etwas fehlt. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass es sich um die Ölkontrollleuchte handelt. Bei der nächsten Tankstelle halte ich an. Und frage mich, wie die Motorhaube zu öffnen ist, ungeduldig krame ich im Handschuhfach nach der Betriebsanleitung, sicher muss ich im Innern des Wagens irgendwo einen Hebel ziehen, der mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist. Als ich fast unter das Gaspedal gekrochen bin, kommt mir ein ölverschmierter Mechaniker zur Hilfe, der mit einem Griff die Motorhaube öffnet.
    »Ist nicht mein Auto«, sage ich entschuldigend.
    »Kein Problem«, sagt der Mechaniker. »Ein Liter Öl reicht?«
    Er trägt eine runde Brille, unter der seine Augen unwirklich vergrößert werden. Er ist glattrasiert und trägt seine Haare akkurat gescheitelt. Argwöhnisch mustert er mich.
    Die unwirklich vergrößerten Augen des Mechanikers erinnern mich an den Blick des Mafiabosses Leoluca Bagarella, eines späteren Gegenspielers des Gottvaters Bernardo Provenzano. Als ich zum ersten Mal den Prozess gegen die Attentäter von Paolo Borsellino verfolgte, der im Hochsicherheitsgerichtssaal von Caltanisetta geführt wurde, saß ich direkt neben Bagarella, am Ende des Tisches, der für die Journalisten vorbehalten war. Zwischen mir und dem Käfig von Leoluca Bagarella lag nur ein schmaler Gang, der von einer schmalen, weinroten Kordel begrenzt war, eine Art Absperrung, über die sich die Anwälte der Mafiosi beugten, um ihren Klienten in den Käfigen freundlich die Hände zu schütteln.
    Leoluca Bagarella ist ein hundertfacher Killer, Bruder von Antonietta, genannt Ninetta, Bagarella und somit Schwager des Mafiabosses Totò Riina. Ein Mann in kariertem Hemd, mit runder Brille und sorgfältig gescheiteltem Haar. Damals war es noch üblich, dass die Mafiabosse zu den Prozessen gebracht wurden, in denen sie angeklagt waren. Fast die gesamte mafiose Herrenschicht war in den Käfigen versammelt: Totò Riina, Leoluca Bagarella, Nitto Santapaola, Pietro Aglieri – die Bosse, deren Namen noch heute mit unzähligen italienischen Geheimnissen in Verbindung gebracht werden. Mafiosi, die seit Jahrzehnten in Haft sitzen und die immer noch über ein Bedrohungspotenzial verfügen, vor dem sich das ganze politische und wirtschaftliche Establishment Italiens fürchtet. Jede blumige Bemerkung, die sie vor Gericht machen, jedes Zucken einer Augenbraue kann Anlass zu Spekulationen, Vermutungen und Neuberechnungen der italienischen Geschichte geben.
    Über vierzig Mafiosi waren in dem Borsellino-Prozess angeklagt, die Meuchelmörder und ihre Helfershelfer,Männer in kurzärmeligen, karierten Hemden, Männer mit Bauchansatz, Männer, die Trainingshosen trugen und Adidas-Sportschuhe. Bis auf den Boss Pietro Aglieri, der mit seinem kahl geschorenen Schädel aussah wie ein Märtyrer auf dem Weg zur Heiligsprechung, waren es Männer, die den Eindruck machten, als seien sie gekommen, um einen Rohrbruch zu beseitigen oder ein Waschbecken zu installieren, freundliche, harmlos wirkende Männer – die es zu keinem Zeitpunkt an Ehrerbietung gegenüber dem Richter mangeln ließen, Si, Signor Giudice. No, Signor Giudice .
    Totò Riina war in die Rolle des einfältigen Bauern geschlüpft, Leoluca Bagarella beobachtete alles so aufmerksam wie ein Tier, das auf der Lauer liegt, und Pietro Aglieri gab sich entrückt wie ein treuer

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