Von Kamen nach Corleone
strenggläubigen Verfassungsschützern als Teufelszeug geschmäht wird. Aber seitdem in Bayern in dem 30-Kilometer-Grenzgürtel diese Kontrollen durchgeführt werden – mal fällt ein schlecht angeschraubtes Nummernschild auf, mal ein soeben ausgedrückter Joint im Aschenbecher –, macht die Mafia einen großen Bogen um Südbayern. »Was inzwischen so weit geht, dass die Bosse Anweisungen gegeben haben, aufgar keinen Fall den Grenzübergang Lindau zu benutzen«, sagt Schatz.
Mafiabekämpfung müsse gewünscht sein, sagt der Staatsanwalt. Weshalb diejenigen Bundesländer, die immer noch vorgäben, dass die Mafia entweder nicht vorhanden, kein Problem oder unter Kontrolle sei, ihre Haltung überdenken müssten. Dies umso mehr, als die Mafiosi sich in Deutschland keineswegs mehr darauf beschränkten, sich vor den italienischen Ermittlern zu verstecken, sondern dank ihrer Immobilienkäufe bereits längst zu einem Teil der deutschen Gesellschaft geworden seien.
»Außerdem ist Mafiabekämpfung teuer. Ermittlungen sind teuer. Übersetzer sind teuer«, sagt Schatz. Wenn gegen italienische Mafia ermittelt wird, brauchen die Ermittler Übersetzer, die den jeweiligen kalabrischen Dialekt beherrschen, und die das Mafiamilieu verstehen. In Südbayern gebe es nur zwei Leute, die sich mit süditalienischen Dialekten auskennen. Und wegen der Länge größerer Ermittlungsverfahren würden schnell eine Million Euro für Übersetzerkosten fällig.
Aber selbst wenn in Bayern weder die Existenz der Mafia abgestritten wird, noch die Kosten gescheut werden, sind da noch all die bundesdeutschen Gesetze, die den »Grundrechtsschutz« jener garantieren sollen, die befürchten, in einem Überwachungsstaat zu leben. Das sind nicht nur die Fans des Computerchaosclubs und die Generalsekretäre der FDP. Sondern zuallererst die Mafiosi.
Wenn ein Ermittler eine Privatwohnung abhören will, setzt das ein kafkaeskes Verfahren in Gang. In Bayern muss die Staatsschutzkammer die Abhörmaßnahme genehmigen. Wegen der Geheimhaltung können die Akten nicht einfach per Post geschickt werden, also fährt der Staatsanwalt selbst, womit ein halber Tag verloren ist. Die Staatsschutzkammerist eine dreiköpfige Berufsrichterkammer, die viel zu tun hat. Und die vielleicht eine Genehmigung erteilt, die nur einen Monat gültig ist. Was aber, wenn die Mafiosi für drei Wochen nach Italien fahren? Dann muss ein Antrag auf Verlängerung der Abhörgenehmigung gestellt werden. Nach sechs Monaten entscheidet aber nicht mehr die ursprüngliche Behörde, sondern die Oberlandesgerichtskammer der Staatsschutzkammer.
Sollte der Staatsanwalt diese ersten bürokratischen Hürden überwunden haben, bleibt nicht nur die praktische Schwierigkeit, eine Wohnung abzuhören – der Ermittler kann nicht einfach in eine Wohnung spazieren und eine Wanze installieren, die Polizisten müssen an die Schlüssel kommen, beobachten, wann niemand da ist, was Wochen dauern kann, sondern es wartet noch ein weiteres Hindernis: Wenn endlich abgehört werden kann, muss laut Gesetz auch noch der »Schutz des Kernbereiches der privaten Lebensführung« gewahrt bleiben: Alles, was nicht konkret zu den Ermittlungen gehört, darf nicht mitgehört werden. Was ein hermeneutisches Problem ist. Was gehört dazu, was nicht? Weshalb die Mafiosi in Deutschland ihre Geschäfte vor allem in Privatwohnungen abwickeln.
Kaum ein deutscher Staatsanwalt unternehme auch mehr den Versuch, eine Privatwohnung abzuhören. Und die Mafia weiß das.
»Die Mafia in Deutschland«, sagt Schatz, »das ist der Mann mit Schlips. Der nette Italiener, der mit der örtlichen Gesellschaft verkehrt. Der den Bürgermeister kennt und die Leute aus der Staatskanzlei, weil sie bei ihm essen. Man weiß das ja: Warum soll mein Freund ein Krimineller sein?«
Michael spürte, wie seine Beine schwach wurden. Er sagte zu Kay: ›Er ist nicht tot, diese Schweine haben ihn nicht getötet.‹ Er las den Bericht noch einmal von vorn. Sein Vater war um fünf Uhr nachmittags niedergeschossen worden. Während er selbst mit Kay geschlafen, gegessen, das Theater besucht hatte, war sein Vater dem Tod nahe gewesen. Er fühlte sich krank vor Schuld.
Als ich damals mit dem alten Renault vier nach Corleone fuhr, fing für mich der Süden in dem Augenblick an, als ich die blaugrauen Umrisse der Alpen sah. So wie jetzt. Ich kneife die Augen zusammen und glaube an eine Luftspiegelung. Als würde ich in einen fremden Himmelsstrich vordringen. Die
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