Von Kamen nach Corleone
sie jeden Venedig-Besucher spüren lassen, wenn er mit dem Auto anreist und in einem der Parkhäuser an der Piazzale Roma Zuflucht suchen muss, in denen ihn finster lächelnde Männer für den Preis eines Transatlantikfluges sein Auto abstellen lassen.
Einer dieser Männer weist auch dem Alfa einen Platz zu. Und macht mir Komplimente für den Wagen. Für die Zierfelgen, die elegant geschwungene Motorhaube und das schwarz schimmernde Verdeck. Und fragt mich, wie lange ich in Venedig zu bleiben gedenke. Aufgrund des deutschen Nummernschildes hält er mich offenbar für eine Touristin. Ich korrigiere den Eindruck nicht. Zumal er mir gleich einen Spezialpreis für den Parkplatz verspricht. Und mir seine Visitenkarte mit der Nummer seines Mobiltelefons aufdrängt. Nur für den Fall, dass ich Probleme mitdem Spezialpreis haben sollte, wenn ich den Wagen wieder abhole.
Als ich meinen Koffer über die Piazzale Roma zum Vaporetto rolle, rieche ich das Meer. Trotz der Auspuff gase der Autos und der Busse der Pendler. Gegenüber vom Parkhaus liegt die Questura, das venezianische Polizeipräsidium, in einem Kloster, dahinter kann man das Grün des Canal Grande ahnen, der wenige Meter weiter in die Lagune fließt. Vor einigen Jahren ist Venedigs Polizeipräsidium in dieses Kloster gegenüber dem Parkhaus an der Piazzale Roma umgezogen.
Bis zu seiner letzten Beförderung war Alessandro Giuliano Chef der Squadra mobile, des mobilen Einsatzkommandos von Venedig, zuständig für Gewaltverbrechen, für Raub, Diebstahl, Betrug und für organisierte Kriminalität. Ein Sizilianer mit Dreitagebart und dunklen, zurückgekämmten Haaren. Ein Polizist, den man, wie in Italien üblich, mit seinem akademischen Titel ansprach: Dottor Giuliano. Eine sizilianische Freundin hatte mir von ihm erzählt. Einmal hatte ich Alessandro Giuliano in seinem Büro in der Questura aufgesucht, von dessen Fenstern aus man in den Innenhof des Klosters mit seinem Kreuzgang sah. Dottor Giuliano trug Nadelstreifenanzug und ein Hemd, in dem sein Monogramm eingestickt war, was man allerdings nur bemerkte, wenn er seinen Jackenknopf öffnete, um sich zu setzen. In einem Regal zeugten Silberplaketten in dunkelblauen Samtschatullen von den Stationen seiner Karriere: Mailand, Rom, Neapel, Padua. Er hatte fast die Hälfte seines vierzigjährigen Lebens fern von Sizilien verbracht, mit zweiundzwanzig war er weggezogen. Getreu der Devise des sizilianischen Schriftstellers Tomasi di Lampedusa, der in seinem Roman Der Leopard jungen Männern empfahl, die Insel spätestens mit siebzehnzu verlassen, weil der Charakter sonst von den sizilianischen Schwächen aufgefressen werde. Vom Fatalismus, der Trägheit und von dem »Alles muss sich ändern, damit es so bleibt, wie es ist«.
Seiner Geburtsstadt Palermo fühlte er sich in Hassliebe verbunden. Wie alle anständigen Sizilianer, fügte er so knapp hinzu, als stelle dieser Satz bereits eine Intimität dar, die er schon bereute, kaum dass sie über seine Lippen gekommen war. An einer Wand hingen Zertifikate von Fortbildungsseminaren beim FBI, Medaillen von erfolgreichen Polizeiaktionen mit Namen wie Filmtitel: Bei »Green Ice« ging es um Geldwäsche, bei »Castello« um Drogenhandel – im Verlauf dieser Aktion wurden fünfzehn Drogenhändler festgenommen, wie Giuliano nicht ohne Befriedigung feststellte. Im Laufe seiner Karriere war er in Neapel für das Aufspüren flüchtiger Camorristi zuständig und in Padua Chef der Squadra mobile gewesen. Aber selbst von seinen Erfolgen erzählte er nur in dürren Nebensätzen. Ein Sizilianer spricht, indem er schweigt. Indem er Pausen setzt. Wörter verrinnen lässt.
In Venedig kannten nur wenige seine Geschichte. Alessandro Giuliano tut alles dafür, dass dies so bleibt. Nur wenige Polizeikollegen wissen, dass Giulianos Vater ebenfalls Polizist gewesen war: Jener legendäre Boris Giuliano, der in Palermo den Heroinhandel der Cosa Nostra mit Amerika aufgedeckt hatte und von dem man in Sizilien bis heute nur mit Ehrfurcht spricht. Weshalb sein Sohn so etwas wie der »Sohn von Zorro« sei, wie ein sizilianischer Fahnder sagte.
Über Giulianos Schreibtisch hing das berühmte Foto der beiden ermordeten Antimafiastaatsanwälte Falcone und Borsellino. Giuliano spielte mit einem ledernen Zigarrenetui und lauerte darauf, jede meiner Fragen abzuschmettern.Auf dem Schreibtisch lag die venezianische Tageszeitung Nuova , die an jenem Morgen von der Verurteilung von drei Kokainhändlern
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