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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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berichtete, die von Giuliano festgenommen worden waren. Kleinigkeiten. Einige Wochen zuvor war ein Gemüsehändler in Cannaregio ermordet worden, am helllichten Tag. Der Tote war in Cannaregio in seinem Gemüselager unweit des Verkaufsstandes gefunden worden. Ich kam fast jeden Tag an dem Lagerraum im Erdgeschoss vorbei, in dem der Mord geschehen war. Vor der Tür stand seither immer eine Vase mit frischen Blumen, Chrysanthemen oder Lilien, Totenblumen. Die Frau des Gemüsehändlers stellte sie dorthin.
    Die Nuova und der Gazzettino schrieben, dass der Gemüsehändler wie eine Ziege zusammengebunden gewesen sei: incapprettato , wie es heißt, wenn das Opfer von der Mafia zu einem langsamen Erstickungstod verurteilt wurde, Hände und Füße auf dem Rücken gefesselt, die Füße und der Hals mit einer Schlinge verbunden, die sich immer fester um den Hals zieht, je mehr sich seine Beine strecken.
    Märchen, sagte Giuliano gedehnt. Offenbar sei den venezianischen Journalisten die Phantasie durchgegangen, das Opfer sei lediglich mit Klebeband an Füßen und Händen gefesselt gewesen und an einem Knebel im Mund erstickt. Auch bestätigte Giuliano keineswegs die Hypothese der Nuova , der zufolge der Gemüsehändler ein Doppelleben als Drogenhändler geführt und für eine nicht bezahlte Lieferung Kokain mit dem Leben habe bezahlen müssen. Dottor Giuliano lehnte sich hinter seinem Schreibtisch zurück, lächelte nonchalant und schwieg so lange, wie es gerade noch schicklich war. Dann sagte er nur den Satz: »Die Ermittlungen laufen noch.«
    Und noch bevor ich eine Frage zu seinem Vater stellen konnte, warf Dottor Giuliano schon mit Fakten und Zahlenum sich, von denen er annahm, dass Journalisten danach gierten: Nur fünfundsechzig Beamte zähle das mobile Einsatzkommando von Venedig, was nichts sei im Vergleich zu Neapel, wo dreihundert Polizisten in der Squadra mobile arbeiteten, zumal diese fünfundsechzig Männer in Venedig für die gesamte Provinz Venedig zuständig seien.
    Aber wenn Dottor Giuliano lediglich für die Stadt Venedig verantwortlich gewesen wäre, wäre er vermutlich vor Langeweile gestorben. Denn hier passiert nicht genug, um das mobile Einsatzkommando auf den Plan zu rufen. Abgesehen von Touristenbetrügereien, Diebstählen und diversen Raubdelikten, herrscht in Venedig das reinste Idyll. Jedenfalls, was Gewaltverbrechen betrifft. »Und wenn es mal geschieht, dass eine Bank oder ein Supermarkt ausgeraubt wird, ist der Fall oft schnell geklärt, weil Raubdelikte fast immer von Venezianern begangen werden«, sagte Giuliano. Die Venezianer seien die Einzigen, die sich in der Stadt gut genug auskennen, um schnell zu flüchten. Und die Venezianer sterben bekanntlich aus. Das schlägt sich natürlich auch in der Verbrechensstatistik nieder.
    In der Statistik schlägt sich jedoch nicht nieder, wie interessant ein Ort wie Venedig für die Geldwäsche der Mafia ist, etwa wenn mit dem Geld ein venezianischer Palazzo gekauft, renoviert und in ein Luxushotel umgewandelt wird – unter der Federführung einer Finanzierungsgesellschaft mit abstrakt klingendem Namen und guten politischen Beziehungen. Darüber berichten die Lokalzeitungen in Venedig nicht. Zumal dabei kein Blut fließt.
    All das war sicher ein Grund dafür, dass sich die venezianischen Journalisten in den Mord des venezianischen Gemüsehändlers verbissen hatten, der so viel konkreter war.
    Widerwillig gestattete mir Alessandro Giuliano einenBlick in den Abhörsaal, wo Beamte vor Bildschirmen mit flackernden Tonspuren saßen und versuchten, Gesprächsfetzen festzuhalten. Neben den Polizisten saßen Übersetzerinnen, die aus dem Albanischen, Bulgarischen, Rumänischen, Moldawischen übersetzten. Die Provinz Venedig ist ein Tor zum Osten – auch was die Verbrechen betrifft: Die meisten werden von Ausländern begangen. Venedig ist ein Zentrum des Drogen- und Frauenhandels. Als es darum ging, wurde Giuliano für seine Verhältnisse sogar gesprächig, er erzählte von sechzehnjährigen moldawischen Mädchen, die ihre Zuhälter nicht anzeigen wollten, weil sie Angst um ihre Familien in Moldawien hatten, und von den sechs Kilo Kokain, die seine Männer gerade erst bei einer Kontrolle auf der Autobahn beschlagnahmt hatten.
    Vermutlich gilt in seinen Augen jeder als weitschweifig, der auf eine Frage mit mehr als Ja oder Nein antwortet, dachte ich. Vielleicht aber wird man auch so, wenn man zwölf Jahre alt war, als der eigene Vater in einer Bar in Palermo von

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