Von Kamen nach Corleone
Trudeln geraten war, nachdem der eine dem anderen in den Kopf geschossen hatte.
Giovannis Mieter wurde erst viel später festgenommen, weder in Sizilien noch von den Polizisten, die wussten, wo er wohnte. Der Mafioso wurde bei einer Verkehrskontrolle verhaftet, als er in einem Fiat 127 zwischen Neapel und Benevento unterwegs war. Der Fiat steckte voller Pistolen, Kalaschnikows und Sprengstoff.
»Weißt du, ich bekam schon Angst, wenn er mich grüßte«, sagte Giovanni. »Der Typ war sehr herzlich und umarmte mich immer. Und wenn wir zusammen Fußball spielten und er einen Pass verfehlte, dann sagte ich nicht zu ihm: Du Idiot, spiel doch endlich vernünftig, sondern ich sagte: Kein Problem, kann ja jedem passieren.«
Nach dem Essen spazieren wir noch durch die Straßen, die Nacht ist wie ein schwarzer Vorhang auf München gefallen. Wir gehen die Theatinerstraße und die Maximilianstraße entlang, wo hochbeinige Mädchen wie Flamingos über den Asphalt stolzieren, vorbei an einem blondierten Cabriofahrer, um dessen Nase sich das Freisprechkabel seines Handys wie ein Sauerstoffschlauch windet. Wir laufen an Mooshammers ehemaliger Boutique vorbei, aus der keine venezianische Barockmusik mehr dringt. Lediglich die marmorne Carnaval-de-Venise-Plakette ist geblieben, als Hommage an einen bizarren Bayern. Drinnen werden Schweizer Blancpain-Uhren verkauft, die 649 310 Euro kosten und grande complication heißen.
Am Ende unseres Spaziergangs schlägt Giovanni vor, dass wir noch zu einer Bar fahren, um einen Cocktail zu trinken. Es ist eine Bar, die zu einem der vielen Clubs gehört, in denen die Münchener After-Work-Partys feiern. Die Bar sieht aus wie ein psychedelisches Farblabor, Barhocker in Zitronengelb und Blutorangenrot, das Ganze beleuchtet von Disko-Glitzerkugeln, original aus den siebziger Jahren, dazu Flachbildschirme, auf denen Fußballspiele übertragen werden, jede Menge gepiercte Mädchen und die üblichen Lounge-Sofas. Jene, auf denen man weder liegen noch sitzen kann. Der Barmann wirft mit den Ginflaschen wie ein Jongleur.
Als wir in dieser halb liegenden, halb sitzenden Stellung unsere Cocktails trinken, betritt eine seltsame Gruppe die Bar, ein Herr in Glencheckjacke, die seinen umfangreichen Bauchumfang nur notdürftig verhüllt, begleitet von zwei jungen Männern in Hip-Hop-Hosen. Als Giovanni sie Italienisch sprechen hört, wechselt er sofort ins Deutsche. Der Herr in der Glencheckjacke setzt sich so breitbeinig auf eines der Sofas, wie manche Schwangere es machen, um ihrem Bauch Platz zu machen, und starrt unverwandt auf den Flachbildschirm. Ein schütterer grauer Haarkranz klebt an seinem Schädel. Die beiden jungen Männer verschwinden in Richtung Tanzfläche, erst der eine, dann der andere. Kurz darauf kommt der eine wieder und spricht mit dem Herrn, dann der andere. Während sie mit ihm sprechen, wendet sich der Dicke keine Sekunde vom Bildschirm ab. Schließlich tauchen noch zwei Figuren auf, die aussehen wie einem billigen Mafiafilm entsprungen, einer trägt einen Nadelstreifenanzug, der andere hat schwarz gefärbte Haare und einen Oberlippenbart, der aussieht wie ein angeklebtes Lakritz. Sie werden von einer sehr kleinen, süditalienisch anmutenden Blondine mit rabenschwarzemHaaransatz begleitet, einer Zwergin in Glitzerlook und Cowboystiefeln, der die beiden Männer beiläufig die Brust tätscheln, so beiläufig, wie man einem Hund den Rücken krault. Auch sie sprechen kurz mit dem dicken älteren Herrn, der immer noch unverwandt auf den Flachbildschirm blickt. Dann gehen die letzteren beiden hinter die Bar und wechseln scherzend ein paar Worte mit dem jonglierenden Barmann.
Picciotti , sagt Giovanni. Und meint damit die Mafiosi des untersten Rangs, Soldaten, niedrige Chargen. In Sizilien sind sie es, die von den Geschäftsleuten die Schutzgelder eintreiben. Die erst Sekundenkleber in die Schlösser der Geschäfte spritzen. Und dann Brandbomben legen. Und die das Kokain transportieren. Von Holland über Deutschland nach Italien. Oder von Spanien über Frankreich und die Schweiz nach Italien. Für einen Boss in Glencheckjacke.
Giovanni schiebt seinen Cocktail von sich weg und sagt: »Gehen wir?«
Später, als wir am nächtlichen Isarufer entlanggehen und die Luft nach Herbst riecht, sagt Giovanni, dass er nie erwartet hätte, die gleichen Situationen in München zu erleben, die er aus Palermo kannte. »Weißt du, Petra, ich hatte immer eine so hohe Meinung von der moralischen Integrität
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