Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
Mehr hab ich nicht.“
„39 Blaukronen“, addierte ich zusammen. „39 Blaukronen und 14 Fuchspfennige. Das ist alles, was wir haben.“
„Dein Freund scheint ja doch ganz nett zu sein“, schnurrte der Katzenbaum. „Schmeckt der auch so gut?“
Ich stand da mit den bunten Münzen in meiner Hand und war unfähig, etwas zu entgegnen. Die Verzweiflung war einfach zu groß.
„Das war nur ein Scherz“, miaute der Katzenbaum und seine Äste tanzten auf und ab, als würde er lachen. „Ein Scherz, nicht mehr. Jetzt hab dich nicht so, Dodo! Du verstehst doch Spaß, oder?“
„Ja“, sagte ich und meine Stimme kam mir plötzlich seltsam fremd vor.
„Gut“, schnurrte der Katzenbaum. „Was wäre das Leben ohne Spaß?“
„Und was …“ Ich schluckte trocken. „Was wollen Sie dann, Herr Katzenbaum?“
Er antwortete nicht sofort. Und als er es endlich tat, sprach er so leise, dass ich den Kopf drehen und mich nach vorne lehnen musste, um alles zu verstehen. „Birkenwasser …“, hauchte er. „Ich will Birkenwasser.“
„Aber das … das ist doch ausgestorben“, sagte Samuel. Auch er sprach jetzt ganz leise.
„Aber nur in Lichtwiese“, raunte der Katzenbaum. „Ich kann euch sagen, wo es noch welches gibt.“
„Ich war noch nie außerhalb von Lichtwiese“, flüsterte ich und mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.
„Es ist nicht weit“, surrte der Katzenbaum. „Aber gefährlich ist es. Vielleicht stirbt auf dem Weg sogar einer von euch beiden. Wer weiß?“
„Wir können dabei sterben?!“, stieß Samuel hervor.
„Nicht so laut!“, zischte der Katzenbaum. „Wir wollen doch nicht, dass Tante Hablieblieb uns hört, oder? Das würde unser kleines Geschäft sofort zunichte machen.“
„Und wo … wo finden wir das Birkenwasser?“, fragte ich.
„Ihr dürft niemandem davon erzählen, hört ihr?“, flüsterte der Katzenbaum. „Wirklich niemandem!“
Ich nickte. Ein Windstoß fegte über die kleine Lichtung und entlockte dem Blattwerk ein helles Rauschen.
„Was ist das?“, fragte der Katzenbaum.
„Keine Ahnung“, sagte Samuel und schaute mich an. „Aber vielleicht weiß er ja, wie wir hierher gekommen sind?“
„Wovon redet ihr?“, fragte ich.
Samuel legte seine Hand auf meine Schulter. „Ist alles Ordnung?“
„Ja“, sagte ich. „Warum fragst du das?“
„Ist er tot?“, schnurrte der Katzenbaum.
Samuel betrachtete mein Gesicht. Seine Locken wirbelten wild umher. Er sah durch mich hindurch. Als wäre ich gar nicht da. Der Wind wurde stärker. Kleine Steine kullerten den Anhang hinunter.
„Ich glaube, er atmet“, sagte Samuel.
„Samuel!“, rief ich. „Samuel, kannst du mich hören? Ich bin doch hier!“
Ich wollte nach seiner Hand greifen, ich wollte ihn berühren, damit er spürte, dass ich noch da war, dass ich verstand, was sie sagten, doch der Wind drückte meine Arme mit unheimlicher Kraft nach unten.
„Er schläft“, miaute der Katzenbaum.
Samuel drehte sich zu ihm um. „Soll ich ihn wecken?“ Er schrie es, weil der Wind in einen Sturm übergegangen war.
„Ja“, miaute der Katzenbaum. „Aber sei vorsichtig.“
Wo sind wir?
Ich öffnete meine Augen und blinzelte in ein grelles Licht.
„Er ist wach“, sagte die alte Frau und hörte auf, an meiner Schulter zu rütteln.
Erschrocken riss ich meine Augen so weit auf, dass es wehtat, und schob mich im Krebsgang an der kalten Wand entlang, bis ich die Ecke erreichte. „Wer sind Sie?“
„Ganz ruhig“, sagte die alte Frau und trat einen Schritt zurück. Sie war klein und sah aus, als hätte sie die letzte Woche in der Badewanne verbracht. Ihre Haut war von einem Meer aus kleinen Falten überschwemmt. Von ihrem Kopf standen graue Locken ab.
„Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten“, sagte sie, erreichte damit jedoch nur, dass ich mich noch tiefer in der Ecke drängte und meine Knie an den Körper presste.
„Wo bin ich?“, fragte ich und sah mich hektisch um. Mit wenigen Blicken erkannte ich einen fensterlosen Raum mit niedriger Decke. Die Wände waren genauso wie Decke und Boden weiß gekachelt, so dass lediglich die Schwerkraft es ermöglichte, oben und unten auseinanderzuhalten – wobei im Notfall die kleine schwarze Tür in der Ecke vielleicht auch noch einen brauchbaren Anhaltspunkt geliefert hätte. Die Kacheln selbst waren groß, matt und schienen von innen zu leuchten. Abgesehen von dem Glimmen erinnerten sie an übergroße Badezimmerfliesen.
Eine Zelle, dachte ich. Ein
Weitere Kostenlose Bücher