Von Menschen und Monstern
obenauf. Und beeil dich.«
Ja. Es waren Schritte gewesen. Und sie näherten sich. Die Führerinnen der Weibergesellschaft, der Häuptling und eine Kriegereskorte. Sicher besann sich der Posten angesichts dieser tödlichen Prozession auf seine Pflicht und wandte sich wieder seinen Gefangenen zu.
»Mach schnell!« befahl Eric. »Schnell, habe ich gesagt, verdammt nochmal. Raus damit! Rasch!«
Und während die zittrigen Finger des Fallensprengers unsicher in seinem Tornister stöberten und Eric voll Furcht und Ungeduld den Schritten des näher rückenden Exekutionskommandos lauschte, staunte er selbst, daß er einem erfahrenen Truppenführer Befehle erteilte und seine Stimme voll ungewohnter Autorität war.
»Jetzt möchtest du wissen, wo die Höhle des Aaronvolks liegt«, kam Thomas unvermittelt auf sein früheres Thema zu sprechen. »Ich will es dir sagen.«
»Laß den Quatsch! Hol das Zeug 'raus! Tu doch endlich etwas!«
»Schwer zu schildern«, irrten die Gedanken des anderen weiter. »Sehr weit weg liegt sie, diese Höhle. Du weißt doch, daß die Ausländer uns Vorderhöhlenleute nennen, nicht wahr? Die Ausländer sind Hinterhöhler. Und das Aaronvolk wohnt noch ein ganzes Stück hinter ihnen.«
Eric fühlte, wie sich die Finger seines Onkels im Tornister schlossen.
Die drei Führerinnen der Weibergesellschaft betraten die Vorratsgrotte. Ottilie die Prophetin, Sarah die Gesundmacherin und Rita die Schatzhüterin. Ihnen folgten der Häuptling und zwei schwer bewaffnete Truppenführer.
9.
Ottilie die erste Häuptlingsfrau marschierte an der Spitze. Am Grotteneingang hielt sie an, und die anderen scharten sich um sie.
»Seht euch die an!« höhnte sie. »Versuchen, einander zu befreien! Und wie soll es weitergehen, wenn ihr eure Fesseln abgestreift habt?«
Franklin trat neben sie und weidete sich an dem Anblick der beiden Männer, die Rücken an Rücken auf dem Boden hockten. »Dann werden sie fliehen«, spann er das Gespött seiner Frau weiter. »Haben sie erst die Hände frei, nehmen es Thomas der Fallensprenger und sein Neffe selbst mit den besten Lanzenwerfern der Menschheit auf!«
Eric spürte, daß die tastenden Hände aus dem Tornister gezogen wurden, an den er mit beiden Armen gefesselt war. Etwas kollerte auf den Boden der Grotte. Es klang merkwürdig. Wie eine Mischung zwischen Spritzen und Klatschen. Sofort drehte er sich nach dem Geräusch um. Sein Mund stand offen. Er zog die Knie in Hockstellung an.
»So etwas wie die Höhlen des Aaronvolks hast du noch nie gesehen«, murmelte sein Onkel, als ginge ihn die eben beendete Tätigkeit seiner Hände nichts an. »Ich übrigens auch nicht, aber ich habe viel darüber gehört. Manche erzählen – manche erzählen ...«
»Der macht's nicht mehr lange«, stellte Sarah die Gesundmacherin fest. »Wir werden uns am Jüngeren schadlos halten müssen.«
Du brauchst nichts weiter zu tun, als ein Stückchen mit den Fingern abzureißen. Dann spuck es an und schleudere es von dir. So schnell und weit du nur kannst, hatte Walter der Waffenforscher gesagt.
Seine Finger konnte er nicht verwenden. Aber er bückte sich zu dem roten Ding hinab und hob es mit den Zähnen hoch. Er sammelte Speichel im Mund an und drückte ihn mit der Zunge an die sonderbare weiche Substanz. Gleichzeitig stieß er sich mit gekrümmten Zehen vom Boden ab und schnellte hoch. Da er sich mit den gefesselten Armen nirgends abstützen konnte, taumelte er und drehte sich schwankend zum Häuptling seines Volkes herum.
»Ich weiß zwar nicht, was er treibt, aber es gefällt mir nicht«, sagte jemand. »Laßt mich durch.«
Stephen vom starken Arm schob sich vor die Gruppe und zückte den Speer zum Wurf.
Eric schloß die Augen, beugte den Kopf zurück, so weit er konnte, und holte tief Luft. Dann riß er den Kopf nach vorn und schnellte die Zunge kräftig gegen das rote Zeug in seinem Mund. Er stieß die Luft so heftig aus, daß ein bellendes Husten daraus wurde.
Die kleine weiche Masse flog aus seinem Mund. Er öffnete die Augen und sah ihr nach. Im ersten Moment konnte er sie nirgends entdecken. Dann wiesen ihm Stephens verdutzte Miene und seine angstvoll nach oben verdrehten Augen die Richtung.
Mitten auf der Stirn des Truppenführers klebte ein kleiner roter Punkt.
Und was geschieht jetzt? fragte sich Eric. Er hatte die Weisungen befolgt, so gut es unter den gegebenen Umständen möglich gewesen war, aber er hatte keine Ahnung, was der vom Speichel befeuchtete rote
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