Von Menschen und Monstern
taumelten. Ein Ort war so gut wie der andere. Nirgends würde man sie willkommen heißen.
Vielleicht hatte er laut gedacht. Zu seiner Überraschung sagte Thomas der Fallensprenger plötzlich mit leiser, aber klarer Stimme: »Die Pforte ins Bestienrevier, Eric. Wo du deinen Raubzug begonnen hast. Dorthin mußt du gehen.«
»Warum?« fragte Eric. »Was sollen wir dort?«
Er erhielt keine Antwort. Der Kopf seines Onkels fiel nach vorne. Offenbar verlor er wieder das Bewußtsein. Trotzdem marschierten seine Beine weiter, solange Eric ihn festhielt und zog. Ein Rest alter Kriegerzähigkeit steckte immer noch in ihm.
Bestienrevier. Waren sie von nun an dort sicherer als in menschlicher Gesellschaft?
Auch gut. Sie mußten zwar einen weiten Bogen schlagen, um zu der Pforte zu gelangen, aber Eric kannte den Weg. Schließlich, so hielt er sich vor, war er immer noch Eric das Auge. Dabei wußte er genau, daß das nicht stimmte. Er war Eric der Verfemte, sonst nichts.
Er war ein Ausgestoßener ohne Heim und ohne Volk. Und abgesehen von dem Sterbenden, den er mitschleifte, würde in Zukunft jeder die Hand gegen ihn erheben.
10.
Thomas der Fallensprenger war bei dem Überfall auf seine Truppe schwer verwundet worden. Die Flucht und der anschließende Gewaltmarsch hatten seine letzten Kräfte verbraucht. Sein Blick war glasig, und seine kräftigen Schultern hingen herab. Wie ein Schlafwandler torkelte er auf unsicheren Beinen dem Tod entgegen.
Einmal hatten sie Rast gemacht, und Eric hatte die Wunden seines Onkels mit Wasser aus der Feldflasche gereinigt und die ärgsten Verletzungen mit Streifen verbunden, die er aus einem Tornister gerissen hatte. Mit dieser ersten Hilfe für Krieger erschöpften sich seine medizinischen Kenntnisse. Dann versuchte er, seinem Onkel Wasser und ein paar Bissen aufzuzwingen, aber der Kopf des Mannes rollte nach hinten, und die Nahrung lief ihm aus den Mundwinkeln. Sein Atem ging flach und hastig. Sein Körper fühlte sich heiß an.
Eric selbst aß mit Heißhunger. Es war seit langer Zeit seine erste Mahlzeit. Dabei wanderte sein Blick ständig zu seinem Onkel, und er dachte angestrengt über die nächsten Schritte nach. Schließlich aber fiel ihm nichts anderes ein, als sich den Arm seines Onkels wieder über die Schulter zu legen und in Richtung Bestienrevier weiterzumarschieren.
Sobald er auf den Beinen stand, marschierte der Fallensprenger automatisch mit, aber seine Schritte wurden merklich schleppender. Schon nach einem kurzen Stück hielt Eric an. Er hatte das Gefühl, einen Toten zu schleifen.
Vorsichtig lagerte er seinen Onkel auf den Boden der Höhle. Der Körper des Verwundeten war fast völlig erschlafft. Thomas lag auf dem Rücken und blickte teilnahmslos zur runden Decke empor, auf der die Glühlampe an seiner Stirn einen hellen Kreis abzeichnete.
Sein Herzschlag war kaum zu vernehmen.
»Eric«, flüsterte der Fallensprenger mit schwacher Stimme. Der junge Mann hob die Augen von der Brust des Onkels und sah sich dessen schmerzvoll zuckenden Mund an.
»Ja, Onkel?«
»Hör auf mich, Eric. Werde rasch erwachsen. Richtig erwachsen, verstehst du? Das ist deine einzige Chance. Ein Bursche wie du – in den Höhlen –, er entwickelt sich entweder rasch oder er ist tot. Nimm nichts –« ein plötzlicher Hustenanfall unterbrach ihn –, »nimm nichts als gegeben hin. Wer immer es dir auch sagt. Lerne, aber sei – sei selbständig. Und werde erwachsen, Eric. Schnell.«
»Ich werde mir ehrlich Mühe geben.«
»Verzeih – was ich – dir angetan habe. Ich hatte – kein Recht. Dein Leben – schließlich – dein Leben. Du – meine Frauen – die Truppe. Ich habe – allen – Tod gebracht. Verzeih mir.«
Eric kämpfte mit den Tränen. »Es geschah für die gute Sache, Onkel Thomas«, sagte er. »Dich trifft keine Schuld. Die gute Sache ist besiegt worden.«
Der Liegende stieß ein Meckern aus. Im ersten Augenblick hielt Eric es für ein Todesröcheln. Dann dämmerte ihm, daß es ein Gelächter war, wie er es noch nie gehört hatte.
»Eine Sache?« Der Fallensprenger rang nach Luft. »Eine Sache? Weißt du – weißt du – worin die gute Sache – bestand? Ich wollte – wollte Häuptling werden. Häuptling. War nur zu erreichen mit – Fremdglauben – den Ausländern – gute Sache. Alle – die Erschlagenen – nur weil ich – Häuptling sein wollte. Häuptling!«
Er hustete das letzte Wort hervor und erstarrte. Er war tot.
Lange Zeit blickte Eric den
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