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Von Menschen und Monstern

Von Menschen und Monstern

Titel: Von Menschen und Monstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Tenn
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festgestellt, daß er ein Ketzer war. In neun von zehn Fällen ließ sich ein Ketzer leicht als solcher erkennen. So trieb sich beispielsweise nur ein Ketzer allein, ohne Truppe oder zumindest einen Kameraden, der ihm Rückendeckung gab, in den Laufgängen herum. Im zehnten Fall wurde er, wenn auch nur der leiseste Zweifel bestand, seinem Volk zum Loskaufen angeboten. Das klärte die Stellung des Gefangenen jedesmal schlagartig. Unverzüglich meldete sein Stamm irgendein haarsträubendes Verbrechen, eine besonders abstoßende Untat des Gefangenen, die nur durch ein Sühneopfer und Aberkennung sämtlicher Menschenrechte gebüßt werden konnte. Der Mann war der ihm zugedachten gerechten Strafe entflohen. Nun tut mit ihm, was ihr wollt, sagte sein Stamm. Er ist nicht länger einer von uns. Er ist um nichts besser als eine Bestie. Was uns betrifft, so ist er kein Mensch mehr.
    Dann wurde ein Feiertag ausgerufen. Aus vielen kleinen Holzrestchen, die im Bestiengebiet gestohlen und von den Weibern für diese Anlässe aufgespart worden waren, errichteten die Mitglieder der Weibergesellschaft ein Gerüst. Die genauen Anweisungen hierfür waren seit unzähligen Generationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben worden und stammten aus der grauen Vorzeit der Väter, die die Orakelmaschine gebaut hatten. Das Ding hieß Tribüne oder Arena, obzwar Eric in diesem Zusammenhang auch schon die Bezeichnung Schafott gehört hatte. Wie immer das Ding heißen mochte, die näheren Einzelheiten fielen in den Bereich der Magie der Weiber und gingen die Männer daher nichts an.
    Eines allerdings wußte er. Auf dem Gerüst spielte sich ein aufwühlendes religiöses Schauspiel ab, nämlich der Endsieg der Menschen über die Bestien. Für diesen Zweck mußte der Hauptdarsteller zwei Voraussetzungen erfüllen: Er mußte so intelligent sein wie die Bestien, damit man ihm alle Qualen zufügen konnte, und er durfte ebenso wenig menschliche Qualitäten aufweisen wie sie, damit sich Angst, Aggression und Haß, die diese gigantischen Feinde erweckten, hemmungslos austoben konnten.
    Geriet ein Geächteter in Gefangenschaft, ruhte jede Arbeit in den Höhlen, die Kriegstruppen der Menschheit wurden in die heimatlichen Gefilde zurückbeordert und eine Zeit des Feierns begann. Selbst die Kinder beteiligten sich nach besten Kräften an den Vorbereitungen, leisteten den schwer arbeitenden Weibern Handlangerdienste und holten den wachehaltenden Männern Erfrischungen herbei. Und zwischendurch prahlten sie untereinander damit, wie sie diese gefangenen Vertreter des Untermenschentums, diesen Inbegriff des Abschaums ihren Haß fühlen lassen würden.
    Jeder kam an die Reihe. Alle, angefangen vom Häuptling bis zum kleinsten Kind, das bereits seinen Katechismus der Väterweisheit auswendig konnte, kletterten hintereinander auf die Tribüne – oder die Arena – oder das Schafott –, das die Weiber errichtet hatten. Genußvoll übten sie an dem Ausgestoßenen einen Teil jener Rache, die sie eines Tages gemeinsam an den Bestien nehmen wollten, die ihnen ihre Welt gestohlen hatten.
    Sarah die Gesundmacherin kam als eine der ersten an die Reihe. Dann blieb sie auf dem Gerüst stehen und überwachte die Feier sorgfältig. Sie war dafür verantwortlich, daß keiner zu weit ging, daß jeder seinen gerechten, angemessenen Teil an diesem Volksfest bekam und daß selbst gegen Ende noch ein Funke Leben in dem Opfer vorhanden war. Dann nämlich, zum Schluß, wurde das Gerüst samt seinem blutigen Gast restlos verbrannt. Diese symbolische Handlung veranschaulichte, wie die Bestien eines Tages in Asche verwandelt und auf Nimmerwiedersehen von der Erde fortgeblasen werden würden.
    Anschließend wurde geschmaust, getanzt und gesungen. In den spärlicher beleuchteten Nebengrotten jagten Männlein und Weiblein einander. Kinder hüpften und johlten in der geräumigen Haupthöhle. Die wenigen Alten schliefen mit sattem, erinnerungsträchtigem Lächeln ein. Jeder hatte das Gefühl, es den Bestien heimgezahlt zu haben und wieder jener Krone der Schöpfung zu gleichen, die ihre Väter dereinst gewesen waren.
    Eric mußte an die Dinge denken, die er bei solchen Gelegenheiten getan und andere hatte tun sehen. Seine Muskeln zogen sich schreckhaft zusammen. Er mußte die Schultern hochziehen und Beine und Arme fest anspannen. Schließlich beruhigten sich seine Nerven.
    Er vermochte wieder klar zu denken.
    Ruckartig setzte er sich auf und zerrte an seinen Fesseln. Ein Geächteter

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