Von Namibia bis Südafrika
fragte, schüttelte die Bedienung, deren Neunzigeroberweite ihre Khakiuniform sprengen wollte, unwirsch den Kopf.
„Wenn es sein muss“, murrte sie, „können Sie Spaghetti haben.“
Man sollte nie etwas gegen den Willen des gastronomischen Hilfspersonals bestellen. Doch nach einem Tag Wellblechpiste waren meine Gehirnbahnen verknotet, und ich rannte mit offenen Augen ins Unglück.
„Spaghetti“, sagte ich, „super!“
Als mein Teller kam, brachen Rolf, Bigy und Richard in Gelächter aus.
„Was ist das denn?“ fragte Rolf, mit dem ihm eigenen Taktgefühl. „Igitt, sieht ja aus wie …!“
Er hatte Recht, und es schmeckte auch wie es aussah. Ich verfluchte meine gute Erziehung, in der man mir eingebläut hatte, den Teller leer zu essen, egal, welche Teufelei sich der Koch ausgedacht hat. Verstohlen blickte ich auf die appetitlichen Steaks der anderen. Bevor ich dazu kam zu betteln, hatten sie alles verdrückt.
„War das gut“, sagte Rolf. Sein Bäuerchen unterstrich die Aussage. „Gibt Kraft für morgen. Sagte ich schon, dass wir früh aufstehen? Wir lassen den Ballon steigen.“
Als ich es mir auf der Isomatte bequem machte, rumorte „Gain!!laub“, die große Schlange, in meinem Magen. Auf einmal spürte ich einen Tropfen. Das musste Regen sein. Regen inmitten der trockensten Trockenzeit! Rasch zog ich mich aus, legte mich hin, schloss die Augen, öffnete den Mund. Ein warmer afrikanischer Guss rauschte nieder – Dusche und Trinkgenuss in einem. Das Spektakel dauerte eine halbe Stunde und endete so abrupt, wie es begonnen hatte. Fünf Minuten später war ich wieder trocken. Ich dachte an das Wunder der Natur; ich dachte an den Hereronamen „Otjiwanda Tjongue“, Leopardenhügel; ich dachte darüber nach, ob es nicht besser wäre, das Zelt aufzubauen. Darüber schlief ich ein und dachte an nichts mehr.
Zwischen Grootfontein und Tsumkwe liegen 300 Kilometer Savanne, aber Oberflächenwasser findet man nirgends. Keine Bäche, keine Flüsse, von denen es in Namibia ohnehin nur fünf gibt, die permanent Wasser führen. Deshalb war die Region so gut wie ausgestorben, bis sich die südafrikanische Regierung Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts etwas Schlaues ausdachte. Namibia, damals noch als Südwestafrika ein Teil Südafrikas, sollte ebenso der Homeland-Politik des Apartheid-Regimes unterworfen werden. Diese Politik hatte zum Ziel, die Rassentrennung territorial durchzusetzen. In Südafrika wurden dafür die schwarze Bevölkerung in Reservate gesteckt. Zehn dieser so genannten Homelands entstanden in der Zeit der Apartheid, die noch heute unter den Folgen leiden. Nirgendwo in Südafrika ist die Armut größer, die Aids-Rate höher, die Lebenserwartung geringer. Ende 1960 gründete die Regierung im Zuge des Odendaal-Plans auch in Namibia Homelands, in denen die seit über 30 000 Jahren nomadisch lebenden Khoi San zwangsangesiedelt wurden. Niemand außer den Verantwortlichen wunderte sich, dass sich ihre Anzahl durch Krankheit, Hunger und Alkohol in kürzester Zeit drastisch reduzierte. Seither hat sich an den Zuständen wenig geändert. Ich wusste, was ich in Tsumkwe vorfinden sollte, würde mir nicht gefallen.
Doch zunächst fuhren wir durch den Ort, ohne ihn als Ort zu erkennen. Wir hatten gehört, dass es eine Tankstelle ohne Benzin gebe, ein Telefon ohne Anschluss und einen Laden ohne Waren. Trotzdem waren wir laut Landkarte schon fast an der Grenze zu Botsuana, als uns dämmerte, dass die paar zusammengeschusterten Hütten, an denen wir Stunden zuvor vorbeigefahren waren, die bedeutende Distrikthauptstadt Tsumkwe bildeten. Wir wendeten und fuhren zurück.
„Das war nicht vorgesehen“, quakte Rolfs Stimme durchs Walkie-Talkie. „Ob das Benzin jetzt zurück nach Grootfontein reicht?“
Wenn nicht, nehmen wir den Ballon, dachte ich. Oder gehen zu Fuß. Was ist schon ein wochenlanger Marsch durch eine Gegend, die zu den einsamsten der Welt zählt?
Tsumkwe besteht aus der Straße, die zum willkürlich geöffneten Grenzübergang von Namibia nach Botsuana führt. Diese Straße wird gekreuzt von einer zweiten Straße, an deren einem Ende Tsumkwe Lodge liegt, eine Art Campingplatz, während sich das andere Ende im Busch verliert. Dazwischen stehen Hütten und ein paar Häuser, die so offiziell aussehen, wie offizielle Häuser im Nirgendwo eben aussehen. Eines von ihnen war das Verwaltungsgebäude, das andere ein Schulhaus, und vom Rest weiß ich bis heute nicht, zu was sie gut
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