Von Namibia bis Südafrika
waren. Über einen Feldweg fuhren wir zum Haus von Johan van Bomel, einem Missionar der Dutch Reformed Church. Ich hatte über ihn gehört, dass er alles über die Khoi San von Tsumkwe wusste und über die Mission mit ihm Kontakt aufgenommen.
Der Weg zu seinem Haus war übersäht mit Schlaglöchern, die voller Wasser standen. Überhaupt sah es in Tsumkwe aus, als sei die Sintflut heruntergekommen, und die grauen Wolken am Himmel kündigten weitere Regengüsse an. Wenn man wie ich im Schwarzwald aufgewachsen ist, lernt man als ersten Satz „Wo es grün ist, da fällt Regen.“ Und Tsumkwe war, anders als es in den schlauen Büchern stand, sehr grün. Als wir vor Johan van Bomels Haus hielten, öffneten sich die Himmelsschleusen erneut, und es rauschte genug Wasser herab, um die Arche Noah vom Anker zu lassen.
„Die Böden sind hart wie Beton“, rief eine Stimme durch den Regenvorhang. „Da fließt nichts ab. Kommt rein, in ein paar Minuten steht ihr knietief im Wasser.“
Der Mann, der mir die Hand schüttelte, war groß, hager und besaß einen Blick, der direkt in das Gehirn drang. Das war Johan van Bomel, ein Mann, der sich seit acht Jahren auf verlorenem Posten dem Schicksal der Khoi San entgegenstemmte. Als er die Tür dreimal hinter sich abschloss und eine Kette vorlegte, veranlasste mich das zur ersten von vielen neugierigen Fragen. Bomels Antwort kam prompt: „Die letzten Monate waren rau. Bin ein paar Mal überfallen worden. Was darf ‘s denn sein, Kaffee oder Bier?“
Mit dem Regen in Wüste und Trockensavanne ist das so eine Sache. Fällt einmal Niederschlag, staut sich das Wasser, um danach umso tiefer in den Boden zu sickern. Das schafft die Voraussetzung für eine vielfältige Vegetation: Über 1 200 Pflanzenarten gibt es allein in der Kalahari. Durch die extremen Wetterbedingungen entwickeln sie erstaunliche Überlebensmechanismen. Einige Pflanzen wie die Welwitschia mirabilis werden über 1 000 Jahre alt. Andere wie der Kameldornbaum kommen jahrelang ohne Wasser aus. Und Pflanzen wie die Teufelskralle besitzen außergewöhnliche Heilkräfte. Trotzdem schaut man sich nach jedem Regenguss ungläubig nach den Tricksern aus Hollywood um. Das, was eben noch Wüste war, verwandelt sich in einen Garten Eden. Ich sah Blumen mit gelben, roten und blauen Blüten so schnell aufblühen, als befände ich mich im Zeitraffer. Und Zeit ist auch das Zauberwort, nach dem sich die Natur richtet, denn sie muss sich sputen, um den Regen zu nutzen. Nach zwei flotten Bieren schlug Johan van Bomel eine kleine Tour vor. Wir traten vors Haus und staunten.
„Das müssen wir von oben sehen“, murmelte Rolf. „Wir sollten den Ballon starten.“
„Nein“, sagte Bigy.
„Nein“, sagte Richard.
„Nein“, sagte ich.
Aber was sind dreimal gesunder Menschenverstand gegen einmal ausgeprägten Spieltrieb? Kaum hatten wir die Ballonhülle ausgebreitet, öffnete der Schleusenwärter im Himmel erneut das Wehr. Offenbar hatte Noah einen Funkspruch nach oben geschickt. Johan van Bomel beobachtete interessiert, wie wir ein paar Hundert Quadratmeter Ballonseide in den Sack zurückstopften.
„Das wird den Khoi San gefallen“, sagte er.
„Meinst du?“, fragte Rolf, voller Hoffnung auf motivierte Mitstreiter.
„Aber klar. Damit gewinnst du ihr Herz.“
Als wir an diesem Abend unser Camp aufschlugen, das Feuer entzündeten, die Steaks verschlangen und ein paar Biere tranken, funkelte in Rolfs Augen noch immer verklärtes Entzücken.
„Hast du gehört, was Johan gesagt hat?“, fragte er mich. „Morgen fahren wir zu ihnen und lassen zusammen den Ballon steigen.“
„Ja“, sagte ich. „Das machen wir.“
Wir schauten noch ein, zwei Stunden ins Feuer und hingen unseren Gedanken nach. Mir wurde klar, wie wenig es braucht, um glücklich zu sein. Eine afrikanische Nacht. Ein Feuer. Ein paar Leute um sich, die Spaß an dem haben, was sie tun. Und die Freiheit, das zu dürfen. Wir haben diese Freiheit, andere aber nicht. Mit diesem Satz kroch ich in den Schlafsack, und als ich am nächsten Tag erwachte, war er immer noch da.
Die Freiheit zu tun, was man will. Für die Khoi San bedeutete das über 30 000 Jahre lang, ein nomadisches Leben zu führen. Leider spielt sich überall auf der Welt, wo Nomaden leben, dasselbe Trauerspiel ab. Da sich wandernde Menschen wenig um Grenzen scheren, vor allem, wenn sie so willkürlich gezogen wurden wie die afrikanischen, sind sie schwer zu kontrollieren. Daher sind Nomaden den
Weitere Kostenlose Bücher