Von Namibia bis Südafrika
5 000 Nachfahren dieser Herero mit 50 000 Stück Vieh zurück. Sie wurden von der Regierung rund um Tsumkwe angesiedelt. Dabei übersah man, dass man Jahre zuvor die Khoi San an derselben Stelle zur Sesshaftigkeit gezwungen hatte. Jetzt leben zwei Volksgruppen nebeneinander, die kulturell nicht unterschiedlicher sein können. Herero sind Viehzüchter und Ackerbauern, die Khoi-San dagegen Nomaden.“
Der Kampf Sesshafter gegen Nomaden – an einem vergessenen Ort am Ende der Welt ging er mit unverminderter Härte weiter.
Das Dorf der Khoi San bestand aus ein paar Strohhütten, die nach dem großen Regen in sich zusammenzufallen drohten. Nichts war zu sehen vom farbenfrohen Bild der Tourismusreklame, in der die Khoi San in traditioneller Kleidung durch eine ockerfarbene Savanne hüpfen – ein fröhliches Volk ohne Grenzen. Der Alltag sah ganz anders aus. Hier hauste eine verlorene Gruppe alter Frauen und Männer, die trübsinnig und zum Teil betrunken um einen erloschenen Aschehaufen hockten. Am meisten berührte mich der Anblick einer alten Frau, die mir den abgebrochenen Teil eines Speeres verkaufen wollte. Als einziges Kleidungsstück trug sie ein verschmutztes T-Shirt mit mehr Löchern als Stoff, so dass ihre Brüste herausbaumelten. Das war ihr peinlich, und sie versuchte vergeblich, sich mit den Händen zu bedecken. Bei alten Frauen in würdelosen Situationen kriege ich Herzflattern, vielleicht weil ich dabei an meine Oma denke und daran, was wir tun würden, müssten wir unsere Großmütter so sehen.
„Wir brauchen Kleidung“, sagte Johan van Bomel.
„Nicht zu große, schließlich sind die Khoi San keine Riesen. Am besten Kinderkleidung.“
Ich dachte, ein paar Klamotten aufzutreiben kann ja wohl nicht so schwer sein.
„Dir ist Gott begegnet“, sagte ich zum Missionar.
„Hatte er nicht einige Tipps für die Kleidersammlung?“
Zugegeben: Mein Misstrauen war noch nicht beseitigt. Nach Johans Antwort auch nicht meine Zweifel an der Gesinnung so mancher Zeitgenossen.
„Wir bekamen welche“, sagte er. „Sie steckten voller Krankheitserreger.“
Auch hier wiederholt sich Geschichte: In den Jahren der Eroberung des amerikanischen Westens durch den Weißen Mann starben mehr Indianer durch Krankheiten als durch die Gewehre der Soldaten und Siedlern. Ihr Immunsystem kannte keine Abwehr gegen eingeschleppte Krankheiten wie zum Beispiel Pocken. Das wurde ausgenutzt, indem man ihnen zuvor infizierte Kleidung gab. Danach setzten sich die Gutmenschen ans Lagerfeuer, rauchten ein falsches Friedenspfeifchen, und warteten darauf, bis Virus und Bazillus ihren mörderischen Job erledigt hatten.
„Wenn also Kleidung“, sagte Johan van Bomel, „dann bitte keimfrei, gereinigt und gewaschen.“
An diesem Tag besuchten wir fünf weitere Dörfer. Jedes sah aus wie das erste, und als wir am Abend an unserem Lagerfeuer saßen, stierten wir schweigend vor uns hin. Selbst Rolf war die Lust auf das Ballonabenteuer vergangen. Dabei hatte uns Johan am Ende der Tour aufgemuntert.
„Wir können nicht überall sein“, sagte er. Mit „wir“ meinte er sich selbst und seine Frau. „Es gibt auch andere Dörfer. Zu denen fahren wir morgen. Ich dachte nur, so herum ist es besser.“
In dieser Nacht lag ich wieder wach, doch diesmal war keine Steakorgie der Grund dafür. Ich dachte an die Khoi San, die ganz in der Nähe und doch endlos weit weg von mir auf demselben Matschboden lagerten. Die ersten Menschen in diesem uralten Kontinent, von dem wir alle stammen, wird es bald nicht mehr geben.
Immer wieder muss ich an das nomadische Theorem des Reiseschriftstellers Bruce Chatwin denken. Selbst lebenslang ein Nomade, befasste er sich mit der Entstehung der großen Weltreligionen. Sie wurden alle in Handelsstädten ehemaliger Nomaden gegründet. Der Grund war, so Chatwin, das Umherziehen mehr Kraft kostet als sesshaftes Leben. Daher mussten die Neubürger mit einem Energieüberschuss klarkommen und brauchten Regeln des Zusammenlebens. Einfach sollten die sein und leicht verständlich. „Du sollst nicht begehren deines Nachbarn Weib“, kapiert jeder. Später kamen clevere Leute darauf, aus diesen Grundregeln Religionen zu schaffen, um mithilfe der Institution Kirche Macht auszuüben. Diesem Druckmittel entzogen sich die Nomaden und wurden erneut verfolgt. Auch wenn die Ära der Nomadenvölker vorbei ist, leben wir in einer Epoche, in der mehr Menschen unterwegs sind als je zuvor. Offensichtlich ist uns das Umherziehen nicht
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