Von Namibia bis Südafrika
berichtet, dass sie innerhalb von ein paar Tagen Appetit bekommen hat. Das ist doch gut, sage ich. Aber sie weint, und antwortet: Ich habe doch nichts! Jetzt esse ich meinen Kindern das Essen weg!“
Ich sah Anne an, wie ihr diese Geschichte an die Nieren ging. Es war der Kampf mit dem kaputten Fahrradschlauch: Kaum hat man ein Loch gestopft, entweicht die Luft aus dem nächsten.
„Aids-Bekämpfung muss also mit einer allgemeinen Verbesserung der Lebenssituationen Hand in Hand gehen?“, fragte ich.
„Damit“, sagte Anne. „Und mit einer besseren Schulbildung. Wer gebildet ist, dem kann man keine Märchen erzählen. Auch ein Grund, weshalb unsere Regierung die Bevölkerung gerne dumm halten will.“
Doch das gilt nicht nur für Südafrika. Das gilt für einen Großteil unserer Welt.
10. Von Südafrika nach Namibia in den Naturpark Namibrand
„So gerne würde ich noch mal den Ballon steigen lassen“, sagte Rolf. Dass ich dazu Lust verspüren würde, hatte ich nicht geglaubt. Aber so war es. Wir waren auf dem Weg zurück nach Namibia. Drei Tage hatten wir für die Fahrt eingeplant, drei Tage durfte ich noch einmal das Kilometerspiel spielen. Beate war nach Deutschland zurückgeflogen, mit der Miene einer Frau, die etwas im Schilde führt.
Seit Wochen fuhren wir Ballonhülle und Korb spazieren, nicht zu sprechen vom halben Dutzend Gaskartuschen, die ebenfalls ein paar Tausend Kilometer Piste auf dem Buckel hatten. Aber es hatte keine Gelegenheit mehr gegeben, noch einmal den Himmel zu erobern. Und da auch Angola weiter weg war denn je, stieg meine Zuversicht, den Ballon vor der Grenze wieder einzufangen. Wir fanden eine wunderbare Stelle, die nur einen Nachteil aufwies: Auch sie war durch einen hohen Zaun von der Straße getrennt. Für einen Ballon ist ein Zaun kein Hindernis, für uns schon.
„Drüberklettern oder drüberklettern?“, fragte Rolf, den nichts schreckte konnte.
Ballonfahrer, zur Sonne, zur Freiheit! Rolf mühte sich als Erster ab, wobei er feststellen musste, dass die ruhmvollen Zeiten des Deutschen Sportabzeichens schon eine Weile hinter ihm lagen. Ich reichte ihm die Ausrüstung, dann legte ich meine Hand auf den Zaun, um eleganter als er die Seiten zu wechseln. Im nächsten Augenblick fand ich mich auf dem Hosenboden wieder. Der Stromschlag, der mich niedergestreckt hatte, war nicht von schlechten Eltern gewesen.
Während ich mir meinen schmerzenden Arm rieb, schaute ich mich verblüfft um. Und sah zwei Dinge: Weit weg, am Horizont, ein Farmhaus, in der Perspektive der Landschaft so groß wie ein Häuschen auf einer Märklinanlage. Etwas blitzte, und das musste der Farmer sein, mit einem Fernglas vor Augen und der Hand am Stromschalter. Endlich, nach 100 Jahren Einsamkeit, bringen zwei Kuffnucken Leben in die Bude. Das andere was ich sah, kam auf der Straße auf uns zu. Es waren vier Gestalten mit schwarzen Hüten, schwarzen Jacken und schwarzen Hosen. Sie hatten ein Bündel über den Schultern, trugen knarzige Stöcke in den Händen.
„Tag, die Herren“, sagte einer im breitesten Hessisch, „kann man behilflich sein?“
So lernten wir Andreas, Konrad, Wido und Uwe kennen. Die vier waren Zimmerleute auf der Walz, und es hatte sie ins tiefste Afrika verschlagen. Sie waren auf dem Weg nach Namibrand, dem größten privaten Naturschutzgebiet Namibias, um beim Bau einer Lodge Hand anzulegen. Jetzt legten sie erst mal bei uns Hand an. Mit ihren Stöcken bogen sie den Elektrozaun herab, damit wir Rolf aus seiner misslichen Lage befreien konnten. Dann wischte sich Andreas den Schweiß aus der Stirn.
„Ihr fahrt nicht zufällig nach Maltahöhe?“, fragte er. Wir wollten nach Windhuk. Maltahöhe lag nicht auf unserem Weg. Rolf und ich schauten uns an und nickten gleichzeitig. Was ist das Reisen, das Leben, ohne Spontanität?
„Genau unsere Richtung“, sagten wir aus einem Munde.
Viele haben Zimmerleute auf der Walz gesehen und sich gefragt, was treiben diese Burschen eigentlich? Das kann man in zwei Sätzen zusammenfassen: fürs Leben lernen. Und es genießen. Zu siebt im Bus – vier schwarz gekleidete Gesellen, Rolf, Bigy und ich – ging es gemütlich zu, vor allem, als die Zimmerleute unseren Biervorrat entdeckten. Der war so warm wie frisch gebrühter Kaffee, aber Konrad machte klar, dass man in der Not nicht wählerisch sein darf. Und Bier gehört bei Zimmerleuten auf der Walz zum Grundnahrungsmittel.
„Wie lange bist du schon unterwegs?“, fragte ich Konrad, als er die
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