Von Namibia bis Südafrika
worden ist.
Thomas Hobbes schrieb, der Mensch ist des Menschen Feind. Was soll man noch sagen? Der Mann hat Recht.
Wir trafen Nonhlanhla Zungu und ihre Tochter Nomfundo in einem kleinen Café. Sie stammen aus KwaZulu-Natal. Als wir uns an einen Tisch setzten, merkte ich, wie unangenehm es ihnen war, mir meine Fragen über ihre Krankheit zu beantworten. Also ließ ich sie einfach erzählen, und so nach und nach tauten sie auf. Nonhlanhla war seit zehn Jahren HIV-positiv, Nomfundo seit ihrer Geburt. Als Nonhlanhlas Bekannter Nigel Gericke um Hilfe bat, lag sie im Sterben. Sie war so schwach, dass sie weder stehen noch sitzen konnte. Sie konnte keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Verschämt zeigte sie mir ein Foto, und ich sah eine Frau, die aussah wie ein Skelett, mit einem von Herpes überwuchertem Gesicht. Das nächste Foto war ein halbes Jahr jünger: Sie sah immer noch krank aus, aber der Herpes war zurückgegangen, und sie hatte an Gewicht gewonnen. Nochmals ein halbes Jahr später: Ein kleines Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Der Herpes war verschwunden. Der Frau, die mir heute gegenübersaß, sah man ihre Krankheit nicht an. Seit einigen Jahren arbeitete sie wieder. Nomfundo ging zur Schule.
Nigel betrachtete die Dinge ganz nüchtern. „Sutherlandia ist kein Heilmittel für Aids“, sagte er. „Für diese Krankheit gibt es keines, weder auf natürlicher noch wissenschaftlicher Basis. Aber Sutherlandia ist ein hervorragendes Stärkungsmittel für das angegriffene Immunsystem der Kranken, und spielt eine wichtige Rolle bei der ländlichen Bevölkerung, die keinen Zugang zu modernen Medikamenten hat.“
Er machte eine Pause, und für einen Augenblick verdrängte der Visionär den Wissenschaftler. „Sutherlandia kann auch in hoch entwickelten Gesellschaften eingesetzt werden. Bei Menschen, deren Zustand sich durch eine HIV-Erkrankung nicht so stark verschlechtert hat, dass sie moderne Medikamente benötigen. Und auch als sinnvolle Beigabe bei antiretroviraler Behandlung.“
Nonhlanhla hatte Nigels Ausführungen verfolgt. Jetzt sagte sie leise: „Ich sollte gar nicht mehr da sein.“ Aber sie war noch da – sie, und ihr Kind, aufgrund einer Heilpflanze, die am Wegesrand wuchert.
„Wer sorgte dafür, dass die Tests eingestellt wurden?“, fragte ich Nigel.
„Das staatliche Medical Reserach Center in Kapstadt.“
„Gibt's da jemand, mit dem ich darüber sprechen kann?“
Nigel lächelte dünn. „Das glaube ich nicht“, sagte er. Doch auch der Wissenschaftler kann sich irren. Wenn sich ein Schwarzwälder etwas in seinen Dickkopf setzt, will er es auch wissen. Und Dr. François Kowie, der Chef des staatlichen Medical Research Centers, war sich seiner Sache ohnehin sicher. Nach einigen Telefonaten lud er mich zu einem Gespräch ein.
Ein Tag später war ich dort. Das weitläufige Institut lag an der Stadtgrenze von Kapstadt. Ich fragte mich durch. Dr. Kowies Abteilung war in einem mehrstöckigen Gebäude untergebracht. Er führte mich in ein Labor, das überall auf dieser Welt sein könnte: Vor Bildschirmen hockten internationale Forscher und schoben per Mausklick Strukturen von Körperzellen über den Bildschirm. Mit was auch immer sie sich beschäftigten, ich war mir sicher, keiner von ihnen hatte jemals einen Aids-Kranken kurz vor dessen Tod gesehen. Währenddessen redete Kowie wie ein Wasserfall auf mich ein. Er wollte mir klarmachen, dass Aids nicht das eigentliche Problem Südafrikas war. Er war mit allen Wassern gewaschen, und seine Antworten auf meine Fragen führten meilenweit am Thema vorbei.
„Unser Problem“, sagte er, „ist Zucker.“
„Zucker?“
„So ist es. Unser Volk ist zuckerkrank. Seit dem Ende des Wirtschaftsboykotts gegen Südafrika verzeichnen wir einen rapiden Anstieg an Todesfällen. Das kommt durch die Veränderung der Ernährung. Fast Food, Cola und Cornflakes bestehen zum größten Teil aus Zucker. Wir haben es mit einem Phänomen zu tun, das Parallelen zu Todesfällen durch Alkohol bei amerikanischen Ureinwohnern aufweist. Aufgrund einer variierten Genstruktur können diese Alkohol nicht abbauen, was bei geringen Mengen Schnaps zum Tod führen kann. Ähnliches vermutet man übrigens bei Aboriginis und Khoi San.“
„Interessant“, sagte ich. Aber es war das eine, mit dem Finger auf böse Fastfood-Ketten aus dem bösen Ausland zu zeigen, die ein Volk zuckerkrank machten. Oder vor der eigenen Tür zu kehren, weil man sich von der Pharmalobby hatte kaufen
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