Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
deren elementare Funktionen die knapp dreistündige Fahrt zwischen Florenz und Rom durchhielt? Überhaupt ist es mir unbegreiflich, wie die chaotischen Italiener von heute tatsächlich die Nachfahren dieser ungemein effizienten Römer von damals sein können.
Während meine Gedanken mit der Fahrbahndecke dahinschmolzen, sah ich einen alten, römischen Kilometerstein, der, im Gegensatz zu vielen Wegweisern aus der Gegenwart, bis heute exakt senkrecht stand. War früher alles besser? Wenn ich tatsächlich nicht heute, sondern in der Antike Rom angesteuert hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht glücklicher gewesen, denn damals stand die Stadt ebenfalls kurz vor dem Verkehrskollaps. Man hing in einem Chaos wartender Kutschen fest, natürlich ohne Klimatisierung, es wurde geflucht und in den Staub gespuckt. Den bekannten Ausspruch «Alle Wege führen nach Rom» sollte man eigentlich mit «… und damit in den Megastau» ergänzen.
Roms Herrscher Cäsar war vom Stop-and-Go irgendwann genervt und erließ schließlich Zufahrtsbeschränkungen. Lieferanten durften zwischen sechs und sechzehn Uhr nicht mehr ins Zentrum fahren. Sie kamen fortan nachts, ihre Rufe und das Gerumpel der Fuhrwerke hallten von den Wänden der Gassen wider, so laut, dass der Dichter Juvenal fluchend in sein Tagebuch schrieb: «Ich kann weder schlafen noch dichten bei diesem Lärm!» Dabei warteten gerade die reichen Bürger darauf, dass ihnen die unzähligen Kurierfahrer schnell die von ihnen bestellte Ware brachten.
Was die Bestellmöglichkeiten betrifft, war man nicht mehr weit von denen des Internets entfernt. Nur, dass das Angebot in Marmorkataloge gemeißelt wurde, die sich Senatoren und andere Geldsäcke Roms von Sklaven zeigen ließen und eben bestellten: Blumen, Möbel, Kleider und – was mich sehr erstaunte, als ich es zum ersten Mal las – sogar Schnee.
Ja, eine Schippe Schnee in meinen Lancia geschaufelt, kurz vor Rom und Mitte August im Jahre 2012 , das wäre es, dachte ich.
Eiswürfel – die Szenedroge Roms
Damals gab es tatsächlich einen regen Schneehandel. Das kalte Weiß wurde von den Hängen der Abruzzen erst mit Eseln, dann mit Kutschen herangeschafft, ein ganzes Heer von Lieferanten kümmerte sich darum. Man kann sich vorstellen, wie laut die Flüche eines Schneelieferanten ausfielen, der so wie ich mitten im Hochsommer im Stau vor Rom steckengeblieben war.
Hatte man es dennoch geschafft, den Schnee halbwegs unaufgetaut zu seinem Bestimmungsort zu bringen, wurde er von der Kutsche in unterirdische Speicher geschaufelt und festgetreten, sodass er sich in etwas verwandelte, das in den Augen der Römer noch wertvoller war als Schnee: Eiswürfel. Sie brachten mehr Geld als der Wein, in den sie zwecks Kühlung desselben geworfen wurden.
Die High Society der Antike gönnte sich auch zur heißesten Jahreszeit eiskalte Drinks, und nicht nur das. In Kreisen, in denen Geld keine Rolle spielte, wurde alles gekühlt: die Füße, der Kopf, das Früchtebuffet, der Pool, der Fußboden. Schnee und Eis wurden zur Szenedroge. Von ausgemergelten Eisjunkies wurde berichtet; junge Männer, die bei allen angesagten Partys dazugehörten und ausschließlich das kostbare Kalt zu sich nahmen. Alle waren verrückt nach dem Zeug.
Kaiser Marcus Antonius ließ sich sogar einen großen Haufen Schnee in den Garten schütten, für eine Schneeballschlacht bei dreißig Grad im Schatten – wie ungemein erfrischend!
Diese Umstände sind noch nicht einmal besonders dekadent, wenn wir sie mit dem vergleichen, was
wir
heute veranstalten. Auch wir wollen im Hochsommer Ski fahren und lassen uns dafür künstliche Skihallen errichten, mit Lift, Schanzen und allem, was es braucht, um die Jahreszeiten auf den Kopf zu stellen. Wird es bei uns im Sommer warm, werden diese Hallen mit ungleich größerem Aufwand als damals gekühlt.
Als ich mir diesen Abgrund menschlicher Verschwendungssucht an einem heißen Julitag einmal genauer anschaute, war ich völlig überrascht, in der künstlich gefrosteten Halle eine Skihütte mit Heizung zu entdecken! Aber damit war der Wahnsinn noch nicht perfekt, denn an diesem heißen Sommertag – ich muss es wiederholen, weil es so absurd ist – befand sich in der geheizten Skihütte innerhalb der gekühlten Skihalle: ein Kühlschrank. Und darin: ein warmes Bier.
Selbst der römische Kaiser Marcus Aurelius hätte in seinem kleinen Schneeberg im Garten mit dem Kopf geschüttelt angesichts der Dekadenz einer
Ski World Arena
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