Von Ratlosen und Löwenherzen
auch Matilda wochenlang krank waren. Das liest sich ein bisschen merkwürdig in den Chroniken; fast so, als hätten sie beide die Nase gestrichen voll gehabt von diesem ebenso end- wie ergebnislosen Gezerre um die Krone, welches sie da auf den Rücken der schwer geprüften Engländer austrugen, und deswegen beide irgendwelche psychosomatischen Zipperlein entwickelt. Vielleicht war’s so.
Nach ihrer Genesung schickte Matilda ihrem Gemahl einen Boten, er möge doch bitte, bitte nach England kommen und ihr helfen, den grässlichen Cousin ein für alle Mal aus dem Land zu jagen. Aber Joffrey hatte nur mäßiges Interesse an England und noch mäßigeres Interesse am Wohlergehen seiner Frau. Er ließ ausrichten, er habe alle Hände voll damit zu tun, die Normandie zu unterwerfen, und außerdem werde er sowieso überhaupt nicht mehr mit ihr – Matilda – verhandeln, sondern nur noch mit ihrem Bruder, Robert of Gloucester. Der setzte also über den Kanal, half Joffrey, ein paar normannische Städte und Burgen einzunehmen, und kehrte schließlich mit dreihundert geborgten Söldnern nach England zurück.
Doch unterdessen hatte auch Stephen das Krankenlager verlassen und Matilda in Oxford belagert. Ehe Robert of Gloucester ihr dort zu Hilfe eilen konnte, geriet die Garnison in arge Bedrängnis und sah sich gezwungen, aufzugeben und den Belagerern die Tore zu öffnen. Das war vielleicht der gefährlichste Moment in Matildas gefahrvollem Leben. Sie floh mit nur drei Begleitern von der Burg – vermutlich indem sie sich an der Mauer abseilten. Sie überquerten die zugefrorene Themse in weiße Mäntel gehüllt, um möglichst unsichtbar zu sein, und kämpften sich zu Fuß durch den Schnee bis nachAbingdon – gute sechs Meilen weit, oder, wie man heute sagen würde, zehn Kilometer. Dort bekam sie endlich ein Pferd und ritt zur praktisch uneinnehmbaren Burg von Devizes, wo sie die nächsten sechs Jahre blieb. Keine der beiden Bürgerkriegsparteien konnte während dieser Zeit einen entscheidenden Vorteil in England erringen.
In der Normandie hingegen machte Graf Joffrey solche Fortschritte, dass er Ostern 1144 mit Einverständnis des Königs von Frankreich und des normannischen Adels zum Herzog der Normandie erhoben wurde. Einige englische Adlige, die großen Landbesitz in der Normandie hatten, liefen daraufhin zu Matilda über. Da aber fast zeitgleich ein Sohn und ein Schwiegersohn von Robert of Gloucester auf Stephens Seite wechselten, blieb eine Entscheidung wiederum aus. Es war zum Haareraufen, und allmählich hatten die englischen Lords die Faxen dicke. Sie trafen heimliche Absprachen untereinander, sich neutral zu verhalten und einander nicht mehr anzugreifen. Sollten die Royals sich doch die Köpfe einschlagen, bis keiner mehr übrig war – die Lords stellten fest, dass sie auch wunderbar allein zurechtkamen. Die Macht der Krone begann zu bröckeln.
1147 kam der vierzehnjährige Henry, Matildas und Joffreys ältester Sohn, mit einer Handvoll Söldner und mehr Wagemut als Klugheit nach England, um den Thron seiner Mutter zu erkämpfen. Natürlich dauerte es nicht lange, bis sein Marsch ins Stocken geriet. Die Eroberung Englands war zwar eine Art Familiensport, aber irgendwie doch nicht ganz so einfach, wie der junge Henry sich das vorgestellt hatte. Bald war er pleite und konnte seine Söldner nicht mehr bezahlen. Ausgerechnet König Stephen half dem jungen Heißsporn aus der Klemme, beglich dessen Schulden und schickte ihn mit seinen Segenswünschen nach Hause. Diese kleine Episode ist ein wunderbares Beispiel für Stephens Großzügigkeit und für den verblüffenden und hoffnungslos unlogischen Familiensinn, derdie gesamte Geschichte des Mittelalters wie ein roter Faden durchzieht.
Aber Henrys unbedachter Einfall war ein bisschen mehr als eine bloße Episode, denn er machte den jungen Mann in England bekannt. Was für ein Mordskerl, befanden die Lords mit einem anerkennenden Lächeln. Und sie fingen an, über die Frage nachzudenken, was denn eigentlich nach der Zeit von Stephen und Matilda mit der englischen Krone passieren sollte. Als Robert of Gloucester im Oktober 1147 starb und Matilda sich im Frühjahr darauf in die Normandie zurückzog, geriet die Nachfolgefrage mehr und mehr in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen.
König Stephen hatte zwei stattliche Söhne, Eustace und William. Aber Henry FitzEmpress, wie er genannt wurde, war eine Naturgewalt. 1149, also gerade einmal sechzehnjährig, kehrte er nach
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