Von Ratlosen und Löwenherzen
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Doch der rothaarige Henry mit den leuchtend blauen Augen und den vom ewigen Reiten etwas krummen Beinen erwies sich als enormer Glücksfall für England, denn er war ein politisches Ausnahmetalent. Er schaute sich die Gesetze an, die Alfred der Große, Knut, William der Eroberer und Henry I. hinterlassen hatten, suchte die Bestandteile heraus, die ihm gut und sinnvoll schienen, und schuf ein Rechtssystem aus umherreisenden Richtern einerseits, die mit der Hilfe ortsansässiger Geschworener entschieden, und dem königlichen Gerichtshof in Westminster andererseits. Dieses System bot zumindest allen freien Engländern (etwa ein Viertel der Bevölkerung) eine bislang unbekannte Rechtssicherheit und beschnitt die richterlichen Befugnisse der Lords und der Kirche zugunsten der Krone. Die Lords waren nämlich während des Bürgerkriegs zwischen Matilda und Stephen ein bisschen zu eigenständig geworden. Sie regierten wie kleine Könige über ihre Ländereien und schertensich einen Dreck um geltendes Recht. Nicht nur mit den neuen Gesetzen, sondern auch mit einem neuen Verständnis des Königtums wirkte Henry dem entgegen. Er war es, der seinem Titel die Formel »König von Gottes Gnaden« hinzufügte und mit Nachdruck und Erfolg die Heiligsprechung Edwards des Bekenners vorantrieb (Sie wissen schon: der fromme König, der William dem Eroberer die Krone angeboten hatte). Mit diesen Maßnahmen unterstrich Henry die Ausnahmestellung des Königs und seine Nähe zu Gott, die quasi von Amts wegen kam – ein Argument, das aufmüpfigen Lords von vornherein den Wind aus den Segeln nahm, denn niemand legte sich gern mit Gott an.
König Henry heilte die Wunden des Bürgerkriegs, versöhnte dank seiner Hartnäckigkeit und seines Charismas die Lords, die erbitterte Feinde gewesen waren, stellte die innere Ordnung wieder her und schuf ein Klima politischer und wirtschaftlicher Sicherheit, das zu Bevölkerungswachstum und dem Aufstieg der Städte führte und das Land nachhaltig veränderte.
Es ist nicht so leicht zu erklären, wie er es anstellte, ein Reich zu kontrollieren, das – mit ein paar kleinen Unterbrechungen – von der schottischen bis zur spanischen Grenze reichte. Die wichtigste Voraussetzung für diese Glanzleistung war Henrys anscheinend unerschöpfliche Energie. Er war ständig auf Reisen, klapperte sein großes Reich ab, tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf und schaute seinen Adligen, vor allem seinen Richtern auf die Finger. Er konnte nicht still sitzen (sehr zum Verdruss seiner Höflinge, die immer aufstehen mussten, wenn er aufstand), scheute keinen Konflikt und war doch ein trickreicher Diplomat. Als sich 1156 sein Bruder Joffrey gegen ihn erhob und Anjou und einige andere französische Territorien als sein Erbe forderte, lud Henry ihn zu einem klärenden Gespräch nach Rouen. Aber eine Woche vor diesem Termin leistete er König Louis für die Normandie, Anjou und Aquitanien einen Lehnseid, mit dem er sich ihm zumindest offiziell unterwarf. Das besänftigte den immer noch ein bisschenbeleidigten Louis über die Maßen, und er entzog Joffrey seine Unterstützung.
Henrys zweite große Gabe war seine Fähigkeit, die richtigen Berater und Amtsträger auszusuchen, zu denen einige erfahrene Bischöfe ebenso zählten wie seine politisch versierte Mutter, Kaiserin Matilda. Immerhin war Henry bei seiner Krönung erst einundzwanzig, und sich nicht zu überschätzen gehörte ebenfalls zu seinen Vorzügen. Auch Eleanor fiel eine wichtige politische Rolle zu. Henry musste England häufig verlassen, um sein großes Reich zusammenzuhalten, und oft blieb Eleanor dann in England und vertrat ihn. Sie sorgte dafür, dass die königliche Verwaltung und Gerichtsbarkeit reibungslos weiterliefen, empfing Delegationen, wählte sogar Bischöfe aus. An Energie und Tatkraft muss sie ihrem Mann ebenbürtig gewesen sein, denn während sie die Regierungsgeschäfte führte, war sie fast pausenlos schwanger: Nach dem kleinen William 1153, der nur drei Jahre alt wurde, kamen Henry 1155, Matilda 1156, Richard 1157, Geoffrey 1158, Eleanor 1161, Joanna 1165 und schließlich am Heiligen Abend 1167 der äußerst unheilige John, den sich das Königspaar, wie sich herausstellen sollte, besser gespart hätte und den Sie aus der Robin-Hood-Geschichte kennen.
Unterdessen setzte König Henry seine beispiellos erfolgreiche Karriere dies- und jenseits des Kanals fort, ritt zur Jagd, hielt prachtvoll Hof, hatte jede Menge Spaß und ein offenes Ohr
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