Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
die Stadt Worcester zur Plünderung frei. Die Einwohner von Worcester hatten mit dieser alten Rechnung zwischen den beiden Herren nicht das Geringste zu tun, aber sie zahlten die Zeche: Ihre Habe wurde gestohlen,ihre Häuser gingen in Rauch auf, wer sich wehrte, wurde abgeschlachtet, wer sich nicht wehrte, auch, und Frauen und Kinder wurden vergewaltigt. Wer am Ende noch lebte, stand vor dem Nichts. Es war der 7. November, die Menschen hatten kein Dach mehr über dem Kopf, keine Wintervorräte, kein Geld. Ihnen drohte ein Hungerwinter, und sie hatten wahrscheinlich nicht einmal eine Ahnung, warum diese Katastrophe über sie hereingebrochen war.
    So war Krieg im Mittelalter, und man darf getrost davon ausgehen, dass Kollateralschäden dieser Art für Robert of Gloucester und seinesgleichen eine Selbstverständlichkeit darstellten. Grausamkeit gegen Zivilisten galt als probates Mittel der Kriegsführung, und die Genfer Konventionen waren noch nicht erdacht.
    Während der nächsten fünfzehn Monate hastete König Stephen ziemlich ineffektiv durch England, kreuz und quer, von einem Brandherd zum anderen, ohne je etwas auszurichten. Den Norden hielten die Schotten, die der Kaiserin wohlgesinnt waren. Im Süden und Westen baute Robert of Gloucester die Stellung seiner Schwester immer weiter aus. Stephens Königreich wurde ein immer kläglicheres Restchen im Südosten. Zum Jahresbeginn 1141 belagerte er Lincoln, und dort kam es im Februar zur einzigen großen Schlacht dieses Bürgerkrieges. Robert of Gloucester rückte mit »Scharen schrecklicher, unerträglicher Waliser« an, beklagt ein Chronist, und auch Stephen hatte sämtliche Reserven mobilisiert. Wenn es sein musste, konnte der König auch ordentlich zulangen; er kämpfte tapfer und unermüdlich mit einer doppelschneidigen Wikingeraxt. Doch er verlor die Axt ebenso wie die Schlacht und geriet obendrein in Gefangenschaft.
    Das hätte die Entscheidung sein sollen, die alle sich erhofft hatten. Aber es kam anders.
    Kaum war König Stephen in Gloucesters uneinnehmbarer Festung in Bristol eingesperrt, fiel Kaiserin Matildas Gemahl,Joffrey von Anjou, wieder einmal in die vernachlässigte, ins Chaos gesunkene Normandie ein und brachte sie unter seine Kontrolle. Stephens Anhänger forderten wenigstens die normannischen Ländereien, die der König schon vor der Krönung besessen hatte, für dessen Sohn Eustace, aber die Kaiserin blieb hart. Sie fühlte sich jetzt sicher, denn der mächtige Bischof Henry von Winchester war aus Zorn über verschiedene Verstöße gegen die Rechte der Kirche und die Unfähigkeit seines Bruders zu ihr übergelaufen und sogar schon eifrig dabei, ihre Krönung in Westminster vorzubereiten.
    Siegesgewiss marschierte Kaiserin Matilda auf London, aber ihr Hochmut wurde ihr zum Verhängnis. Sie schenkte den selbstbewussten Einwohnern der großen Handelsmetropole nicht genug Beachtung, war sogar ziemlich ruppig zu ihnen. Das müssen wir uns nicht bieten lassen, befanden die Londoner. Zusammen mit einer Armee unter Stephens Gemahlin (die blöderweise auch Matilda hieß) jagten sie die Kaiserin fort.
    Damit nicht genug: Kaum erfuhr Bischof Henry von Winchester – dessen Mangel an Standhaftigkeit sich wahrlich mit dem seines königlichen Bruders messen konnte –, was geschehen war, kippte er schon wieder um. Daraufhin zogen die Kaiserin und Robert of Gloucester nach Winchester und belagerten seinen Bischofspalast. Doch Stephens Anhänger umzingelten sie und schnitten sie vom Nachschub ab – die Belagerer wurden zu Belagerten. Die Kaiserin entkam, weil ihr Bruder in wahrer Ritterlichkeit die hoffnungslos unterlegene Nachhut zur Schlacht aufstellte, um Matilda genügend Zeit zur Flucht zu verschaffen, und natürlich fiel er seinen Feinden in die Hände.
    Schöner Schlamassel, müssen alle Beteiligten gedacht haben. Nun hatte jede Partei die Galionsfigur der anderen gefangen genommen und hinter dicken Burgmauern eingesperrt – König Stephen in Bristol, Robert of Gloucester in Winchester. Weil offenbar niemand sonst auf die Idee kam, das Nächstliegende zu tun, begann Gloucester selbst, über einen Austausch zu verhandeln, der im November 1141 stattfand.
    Und damit standen alle wieder mehr oder minder da, wo sie am Anfang gestanden hatten. Robert of Gloucesters Sieg bei Lincoln war ebenso wirkungslos verpufft wie der der Königin Matilda über die Kaiserin Matilda.
    Im Frühling und Sommer des Jahres 1142 ruhte der Bürgerkrieg, weil sowohl Stephen als

Weitere Kostenlose Bücher