Von Ratlosen und Löwenherzen
von Blois. Von dem werden wir noch hören.
Nicht nur die Fürsprache der politischen Schwergewichte beeinflusste die Mehrheitsentscheidung der Lords, sondern auch die Tatsache, dass sie des tumben Roberts Sohn, WilliamClito, nun wirklich nicht auf dem Thron haben wollten. Es war also wohl eher eine Entscheidung gegen den einen als ein überzeugtes Votum für die andere, und vielleicht war das der Grund, warum es nicht gut gehen konnte. Hinzu kam, dass Matilda sich selten in England blicken ließ und eine Fremde blieb. Außerdem fanden viele, sie habe den falschen Mann. 1128 hatte Matilda nämlich auf Wunsch ihres Vaters einen gewissen Joffrey Plantagenet geheiratet, den Grafen von Anjou, der Henrys südlicher Nachbar auf dem Kontinent war und zu dem der König dringend einen besseren Draht brauchte. Der junge Graf war ganze vierzehn Jahre, beinah halb so alt wie seine Braut, und diese Ehe wurde ein Desaster. Trotzdem bekamen die Kaiserin und ihr ungeliebter Joffrey drei Söhne.
Die Grafen von Anjou waren jedoch lange Zeit die Lieblingsfeinde der Herzöge der Normandie gewesen, und die Lords fürchteten nun, dass Henry ihnen mit dem jungen Schwiegersohn eine Laus in den Pelz setzte.
Als Henry auf einem neuerlichen Feldzug in der Normandie am 1. Dezember 1135 im gesegneten Alter von 67 nach einwöchiger Krankheit starb (vielleicht an einer Fischallergie oder -vergiftung), war Matilda wieder einmal nicht in England und machte auch keinerlei Anstalten, zu ihrer Krönung dorthin zu eilen. Ganz anders ihr schneidiger, gut aussehender, charmanter Cousin Stephen von Blois, der Henrys Lieblingsneffe gewesen war und in England große Ländereien besaß. Er kehrte auf schnellstem Wege dorthin zurück.
Die Engländer fackelten nicht lange: Kaiserin Matilda und ihr grässlicher französischer Graf waren außer Landes, Stephen war hier. Matilda war eine Fremde, Stephen ein vertrautes Gesicht. Sie war eine Frau, er ein Kerl . Und genauso ein Enkel des Eroberers wie Matilda, denn Stephens Mutter war eine von William the Conquerors Töchtern gewesen. Einige Lords, die Bischöfe und die Bürger von London trugen Stephen die Krone an, und genau wie einst sein Großvater fand er, das sei eine hervorragende Idee.Was war das für ein König, der seiner Cousine die Krone vor der Nase wegschnappte, obwohl er doch unbedingt der Erste hatte sein wollen, der ihr den Treueid leistete?
Er war nicht so übel, wie dieser Makel in seinem Lebenslauf vermuten lässt. Wahrscheinlich war er sogar überzeugt, England und der Normandie einen Dienst zu erweisen. Eine Frau, die eigenständig ein Land regierte – oder genau genommen zwei Länder –, lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Genau wie viele englische Lords der Welt und der Kirche fürchtete auch er, dass der junge Joffrey in Matildas Namen die Macht an sich reißen würde, und da wird er sich gedacht haben: Dann doch besser ich. Stephen war in England bekannt und beliebt und verfügte sowohl dort als auch in der Normandie über riesigen Landbesitz. Bei seinem Regierungsantritt war er 43 Jahre alt und ein erfahrener Soldat und Politiker. Er war vor allem für seinen Frohsinn und seine Gutmütigkeit beliebt, wobei Letztere für einen König des 12. Jahrhunderts nicht unbedingt ein Pluspunkt war, denn sie trug Stephen den Ruf ein, wankelmütig und zu nachgiebig seinen Feinden gegenüber zu sein.
Genau wie Rufus und Henry gelangte er durch schnelles Handeln an die Macht, nicht zuletzt dank der Unterstützung des einflussreichen Bischofs Henry von Winchester, der praktischerweise sein Bruder war. Stephens Machtübernahme verlief nach einem Masterplan, den Henry von Winchester ausgeklügelt hatte, und der ließ sich seine Unterstützung etwas kosten: Mit der »Urkunde über die Freiheiten der englischen Kirche« rang er dem König 1136 Zugeständnisse ab, die die Machtverhältnisse zugunsten der Kirche verschoben. Das wird Stephen nicht besonders behagt haben, aber andererseits hatte es zur Folge, dass der Papst seine Krönung und seine Ernennung zum Herzog der Normandie umgehend abnickte.
Damit stand Kaiserin Matilda also erst einmal im Regen. Ihr unehelicher Halbbruder, der mächtige Earl Robert of Gloucester, kehrte Weihnachten 1136 nach England zurück undleistete Stephen den Lehnseid. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass er vor den zum Weihnachtshof versammelten Lords für den Thronanspruch seiner Schwester eintrat. Warum nicht, ist nicht ganz klar. Vielleicht machte er sich zu
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