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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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die Kreuzzeitungs-Redaktion – viel in Bethanien verkehrte, wo sich bei dem zu jener Zeit in großem Ansehen stehenden Pastor Schultz, einem Freunde meiner Eltern, die führenden Kreuzzeitungs-Leute, darunter namentlich auch von Blankenburg, zu versammeln pflegten. Eines Abends, als ich eintrat, las man in diesem bethanischen Zirkel einen eben unter dem bekannten Lilienzeichen erschienenen, eine Truppenschau in den Champs Elysées oder auf dem Marsfelde beschreibenden Artikel vor, in dem wohl vier- oder fünfmal die Wendung vorkam: »
Er –
Louis Napoleon – hat den Degen gezogen«. Und so war auch der Kopftitel, den die Redaktion dem Ganzen gegeben hatte. Die Meinungen über die Wichtigkeit dieser Korrespondenz gingen auseinander. »Es ist an und für sich nichts,« hieß es, »aber es hat eine symbolische Bedeutung und ist jedenfalls ein Avis.« Eine Minderheit bestritt auch dies, bis man ihr zu Gemüte führte, »daß es ja der
Marquis
sei, der diesen Brief geschrieben, ein ernster Politiker also, der den ›gezogenen Degen‹ nicht vier- oder fünfmal betont haben würde, wenn er dieser Sache nicht eine gewisse Wichtigkeit beilegen wollte.« Das schlug durch, und man nahm an, daß eine Kriegserklärung in Sicht stehe. Der an jenem Abend aber die gesamte Kreuzzeitungs-Gruppe so nachhaltig beschäftigende »Marquis« war niemand anders als mein Freund George Hesekiel, Willhelm- oder Bernburger Straße oder wo sonst er damals gerade wohnen mochte. Wie sich denken läßt, hing der Schöpfer an diesem seinem Geschöpf, der Marquis »wuchs mit seinen größeren Zwecken«, und es wird sich ganz ernsthaft sagen lassen, daß Hesekiel an keiner seiner Romanfiguren auch nur annähernd so viel Freude gehabt hat wie speziell an diesem Kinde seiner Laune. Doch alle Freude welkt dahin. Ein Jahrzehnt lang hatte sich die so glücklich erfundene Figur bei Leben und Ansehen erhalten, bis es mit einem Male hieß: »Der legitimistische Marquis der ›Kreuzzeitung‹ existiere gar nicht.« Es war nämlich aufgefallen, daß der Marquis nie schrieb, wenn Hesekiel im Monat Juli in Karlsbad war. Indessen möcht' ich trotz alledem annehmen, daß der durch diesen Umstand erregte Verdacht wieder hingeschwunden wäre, wenn nicht Hesekiel selbst, als er von dem Stutzen des Publikums erfuhr, zu einem falschen Wiederherstellungsmittel des erschütterten Glaubens an seine Figur gegriffen hätte. Dies falsche Mittel bestand darin, daß er den Marquis
auch
nach Karlsbad reisen und ihn von dort aus an die »Kreuzzeitung« schreiben ließ. In diesen Briefen sprach er neben anderem auch seine Freude darüber aus, den Dr. George Hesekiel am Sprudel kennengelernt und ihn in seinen legitimistischen Anschauungen als echt und recht erfunden zu haben. All dies war sehr sinnreich ausgedacht, aber doch etwas zu sinnreich, zu kompliziert. Die Komödie, die dadurch verschleiert werden sollte, wurde nur immer durchsichtiger, so daß Hesekiel nach allen möglichen Hin- und Her-Erwägungen endlich den großartigen Entschluß faßte, den Marquis während ihres beiderseitigen nächsten Aufenthaltes in Karlsbad sterben zu lassen. Er führte dies auch mit vieler Kunst, will sagen mit allen für die Wahrscheinlichkeit der Sache nötigen Abstufungen aus, doch weiß ich nicht mehr recht, ob er ihn rasch und unmittelbar in böhmischer Erde begraben oder aber umgekehrt ihn zunächst noch nach Frankreich zurückbegleitet und ihn dort erst in der Nähe von St. Denis bestattet hat. Ich finde, bei allem Respekt vor dem berühmten Bernauer Kriegskorrespondenten, daß dieser legitimistische Marquis seinem Kollegen Wippchen mindestens ebenbürtig ist.
    Es mag mir gestattet sein, an das Vorstehende noch eine Bemerkung über »echte« und »unechte Korrespondenzen« zu knüpfen. Der Unterschied zwischen beiden, wenn man Sprache, Land und Leute kennt, ist nicht groß. Es ist damit wie mit den friderizianischen Anekdoten: die unechten sind geradeso gut wie die echten und mitunter noch ein bißchen besser. Ich bin selbst jahrelang echter und dann wieder jahrelang unechter Korrespondent gewesen und kann aus Erfahrung mitsprechen. Man nimmt seine Weisheit aus der »Times« oder dem »Standard« etc., und es bedeutet dabei wenig, ob man den Reproduktionsprozeß in Hampstead-Highgate oder in Steglitz-Friedenau vornimmt. Fünfzehn Kilometer oder hundertfünfzig Meilen machen gar keinen Unterschied. Natürlich kann es einmal vorkommen, daß persönlicher Augenschein besser ist als

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