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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Wiedergabe dessen, was ein anderer gesehen hat. Aber auch hier ist notwendige Voraussetzung, daß der, der durchaus selber sehen will, sehr gute Augen hat und gut zu schreiben versteht. Sonst wird die aus wohlinformierten Blättern übersetzte Arbeit immer besser sein als die originale. Das Schreibetalent gibt eben den Ausschlag, nicht der Augenschein, schon deshalb nicht, weil in schriftstellerischem Sinne von zehn Menschen immer nur einer sehen kann. Die meisten sehen an der Hauptsache vorbei.
     
    Hesekiel trat, sehr bald nach seinem Erscheinen in Berlin, in den Tunnel ein, wahrscheinlich durch Schneider eingeführt und empfohlen. Aber trotz dieser Empfehlung kam er zu keiner rechten literarischen Geltung, noch weniger zu Ansehen und Liebe. Der Grund lag zum Teil in seiner Zugehörigkeit zur »Kreuzzeitung«. Überflog man den zu einem Drittel aus Offizieren und zu einem zweiten Drittel aus adligen Assessoren zusammengesetzten Tunnel, so mußte man – noch dazu nach eben erst erfolgter Niederwerfung einer revolutionären Bewegung – eigentlich mit Sicherheit annehmen, in einem derartig kombinierten Zirkel einem Hort des strengsten Konservatismus zu begegnen. Das war aber nicht der Fall. In dem ganzen Tunnel befand sich, außer Hesekiel, kein einziger richtiger Kreuzzeitungsmann; nicht einmal Louis Schneider, trotz eifriger Mitarbeiterschaft an der »Kreuzzeitung«, konnte als solcher gelten. Ihm fehlte das Kirchliche, das durch das Russische doch nur sehr unvollkommen ersetzt wurde. Die Tunnel-Leute waren, wie die meisten gebildeten Preußen, von einer im wesentlichen auf das nationalliberale Programm hinauslaufenden Gesinnung, und bis diesen Tag ist es mir unerklärlich geblieben, daß, mit Ausnahme kurzer Zeitläufte, diese große politische Gruppe keine größere Rolle gespielt und sich nicht siegreicher als staatsbestimmende Macht etabliert hat. Es hat dies nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen weniger – wenn überhaupt – an den Prinzipien unseres deutschen Whiggismus gelegen als an dem
Ton,
in dem diese Prinzipien vorgetragen wurden. Der Fortschritt ist auch rechthaberisch doktrinär, aber er vertritt mehr den Doktrinarismus eines rabiaten Konventiklers als den eines geistig und moralisch mehr oder weniger in Hochmut verstrickten Besserwissers, und das Hochmütige verletzt nun mal mehr als das Rabiate. Politiker mögen diese Sätze belächeln, es wird ihrer aber auch geben, die etwas Richtiges darin erkennen.
    Ich kehre nach diesem Exkurse zu Hesekiel zurück. Sein gelegentlich provozierendes Auftreten war nicht angetan, mit seiner etwas extremen Richtung – sie gab sich extremer, als sie war – zu versöhnen, und so beschränkte sich, soweit der Tunnel in Betracht kam, sein gesellschaftlicher Verkehr auf das H. Smidtsche Haus, das ich schon in einem früheren Kapitel geschildert habe. Dort machte ich auch seine nähere Bekanntschaft und fühlte mich, ich will nicht sagen zu ihm hingezogen, aber doch in hohem Maße durch ihn interessiert. Er war gescheit von Natur, hatte, nicht schulmäßig, aber im Leben und durch Lektüre viel gelernt, kannte tausend Geschichten und Anekdoten von Ludwig XI. an bis auf Ludwig XVIII. und gehörte zu denen, die, wie das Sprichwort sagt, keine Mördergrube aus ihrem Herzen machen. Mit unglaublicher Ungeniertheit gab er die tollsten Skandale zum besten, und was in Vehses »Geschichte der deutschen Höfe« steht, war ein Pappenstiel gegen das, was er in ganzen Katarakten über uns hindonnerte. Mich nahm er dadurch ganz gefangen, denn historischen Anekdoten habe ich nie widerstehen können, bin auch jetzt noch der Meinung, daß sie das Beste aller Historie sind. Was tu' ich mit den Betrachtungen? Die kommen von selbst, wenn die kleinen und großen Geschichten, die heldischen und die mesquinen, zu mir gesprochen haben. Also, Hesekiel war der Mann der historischen Anekdote, ganz besonders der rücksichtslos-gewagten. Er schrak dabei vor keinem Stand und Berufe zurück, auch nicht vor Adel und Geistlichkeit. Einmal war wieder ein entsetzliches Priesterverbrechen ans Licht gekommen. Er trug es mit breitem Pinsel vor und sagte dann, wie zur Entschuldigung, als er auf manchem Gesichte wohl so etwas wie Mißbilligung lesen mochte: »Verkennen Sie mich nicht. Ich bin aus einer alten Pastorenfamilie, die Glaubens willen aus dem Lande gegangen, und hab' ein Herz für alles, was zum geistlichen Stande gehört. Aber wenn irgendwas Schreckliches geschieht, wo's in Frankreich

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