Von Zwanzig bis Dreißig
trugen. Er hatte ganz wundervoll den Ton weg, richtige Berliner Landwehrherzen zu treffen.
Ich komme, bevor ich von meinen persönlichen Beziehungen zu ihm spreche, hier noch einmal auf seine Stellung in unserem Verein zurück. Eine lange Zeit hindurch, wie schon eingangs erzählt, war er im Tunnel nicht mehr und nicht weniger als alles. Er herrschte, weil er passioniert war und nicht bloß ein Herz für die Sache, sondern auch noch allerlei andre hochschätzbare Vereins- und Gesellschaftsgaben mitbrachte. Nur freilich an der hochschätzbarsten Gabe gebrach es ihm völlig. Er stand einer Poetengesellschaft vor, ohne selbst auch nur das geringste von einem Poeten an sich zu haben. Charakteristisch für einen Dichter wird es meist sein, wie er sich zu Mitdichtern, auch zu ganz kleinen und unbedeutenden, zu stellen weiß. Lenau, als ihm eine Kellnerin im Café Daum einige von ihr verfaßte Gedichte schüchtern überreichte, trat von dem Augenblick an in ein ganz neues Verhältnis zu ihr und behandelte sie, weil er seiner Natur nach nicht anders konnte, mit zartester Rücksicht. Er sah in ihr immer eine Kollegin; von Gleichgültigkeit oder gar Überhebung keine Spur. Louis Schneider dagegen verfuhr sehr anders – er war eben kein Lenau. Damals kam es noch vor, daß blutarme junge Dichter ihre Dichtungen in einer kleinen Stadt auf eigene Kosten drucken ließen und nun, dies ihr Heftchen anbietend, bei ihren Mitdichtern um eine Wegzehrung baten. Auch zu Schneider kamen solche wenig Beneidenswerte. Schneider gab ihnen dann das Heftchen zurück, in der ihm eignen Berliner Sprechweise hinzufügend: »Ich pflege mir meinen kleinen Bedarf selbst zu machen.« Aber das war ihm noch nicht genug; er begleitete diese gemütlich sein sollenden Worte regelmäßig mit einer minimalen Geldgabe, hinsichtlich deren er dann strahlenden Gesichts die Versicherung abgab, »sie sei noch nie zurückgewiesen worden«. Ein häßlicher Zug. Und doch war er ein gütiger Mann, der vielen Hülfsbedürftigen tatsächlich ein echter und rechter Helfer gewesen ist. Er war nur nicht gewinnend in seinen Formen, die, trotzdem er einer Dichtergesellschaft präsidierte, der wahre Musterausdruck äußerster märkischer Prosa waren. Er litt an dieser Prosa wie an einer Krankheit und vielleicht am meisten da, wo sich seine Stellung zu dem, was man Poesie nennt, bekunden sollte. Jederzeit, innerhalb wie außerhalb des Tunnels, ist es ihm zum Verdienst angerechnet worden, Scherenberg entdeckt und den armen Poeten auf sein Glück und seine Höhe gehoben zu haben. Das ist auch wahr. Aber daß er diese spezielle Dichterschwärmerei sich leisten konnte, hing nicht mit seinen literarischen Tugenden, sondern umgekehrt mit seinen schweren literarischen Mankos zusammen. Schneider, weil er eines feineren Kunstgefühls total entbehrte, war in der Lage, sich an gewagtesten Bildern und alt-blücherschen Schlagwörtern beständig berauschen zu können. Was er denn auch redlich tat. Er erging sich, plätschernd und prustend, in den die Scherenbergsche Dichtung reichlich begleitenden Fragwürdigkeiten. Was
wirklich
bedeutend an Scherenberg war, davon ist ihm schwerlich viel zum Bewußtsein gekommen.
Ich persönlich habe sehr viel von Schneider gehabt, obschon er mir mehr oder weniger unsympathisch, seine Politik – trotzdem ich sie vorstehend verteidigt – im wesentlichen contre coeur und seine Kunst geradezu schrecklich war.
Daß ich mich ihm demohnerachtet so sehr zu Dank verpflichtet fühle, liegt in zwei Dingen: erstens darin, daß wir dasselbe Feld, Mark Brandenburg, kultivierten, und zweitens darin, daß er ein Sentenzen- und Sprichwortsmann war, ein Mann nicht der zitierten, wohl aber der selbstgeschaffenen »geflügelten Worte«. Diese Worte, wie sein ganzes Wesen, waren immer prosaisch und gemeinplätzig, aber vielleicht wirkten sie gerade dadurch so stark auf mich. Feine Sachen amüsieren mehr; ein Hieb aber, der so recht sitzen soll, muß etwas grob sein. Er war das verkörperte elfte Gebot: »Laß dich nicht verblüffen«, und seine Berliner Weltweisheit, seine burleske, mitunter stark ins Zynische gehende Unverfrorenheit hat mich oft erquickt, auch gefördert.
In der Zeit, wo ich meine »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« zu schreiben anfing, sah ich ihn oft, um Ratschläge von ihm entgegenzunehmen. Namentlich bei dem Bande, der das »Havelland« behandelt, ist er mir sehr von Nutzen gewesen.
Er wohnte damals, wenn mir recht ist, am »Kanal«,
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