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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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durfte. Sein feiner, vornehmer Sinn ließ ihn jeder sogenannten »Szene« geflissentlich aus dem Wege gehn, zwang man ihm dergleichen aber auf, so focht er die Sache durch. Ich erinnere mich eines solchen Vorkommnisses, das kurz vor seinem Hinscheiden spielte. Merckel war gleich nach Gründung der Schiller-Stiftung um Vorsitzenden des Berliner Zweigvereins ernannt worden, und wir hatten das Jahr darauf eine öffentliche Beratung in dem Mergetschen Schulsaal. Alles nahm seinen guten Verlauf, bis sich, kurz vor Schluß der Sitzung, ein sechs Fuß hoher, breitschultriger Medizindoktor erhob und mit ungeheurer Unverfrorenheit versicherte, »alles, was da von uns betrieben würde, sei bloß Vettermichelei; Stümper würden unterstützt, und die richtigen Leute kriegten nichts. Alles Klüngel und wieder Klüngel«. So sprach der Breitschultrige, keiner Erwiderung gewärtig, und kaum daß er mit dieser seiner Rede fertig war, so nahm er auch schon den Hut und wollte verschwinden. Aber ehe er noch die Türklinke fassen konnte, sah er sich von seinem Schicksal in Gestalt unsres Merckels ereilt. »Ich muß den Herrn Doktor doch bitten, noch einen Augenblick unter uns verweilen und das Beleidigende, was er da eben gesagt, auch begründen zu wollen.« Diese Worte waren mit solchem nervösen Nachdruck gesprochen, daß der Ankläger wirklich kehrtmachte und etwas stammelte, das, soweit es ging, eine Rechtfertigung seiner Anklage sein sollte. Was er aber da vorbrachte, bewies nur zu sehr, daß er einen speziellen Fall nicht namhaft machen konnte. Die Niederlage war ganz offenbar. »Ich denke,« replizierte jetzt Merckel, indem er sich lächelnd an uns um ihn her Sitzende wandte, »wir können mit dieser Erklärung zufrieden sein. Auf allgemeine Sätze haben wir uns hier nicht einzulassen.« Der so Entlassene war ein Bild des Jammers.
    Um es zu wiederholen, der kleine Mann war ein seltner Mann. Aber auch er hatte den allgemeinen Tribut an menschliche Schwäche zu zahlen. Ein so fester Charakter er war, ein so schwacher, weil schwankender Politiker war er. Dies scheint sich zu widersprechen, aber es war so. In Zeiten, wie's die vormärzlich patriarchalischen waren, wäre diese Schwachheit Wilhelm von Merckels nie hervorgetreten, denn er wäre gar nicht in die Lage gekommen, sich auf diesem diffizilen Gebiete legitimieren zu müssen. Aber die neuen Zeiten ließen ihm keine Wahl, er mußte Stellung nehmen hüben oder drüben, und dabei war er nicht immer glücklich. Indessen muß doch gleichzeitig hinzugefügt werden, daß die hierbei hervortretenden Fehler nur die natürliche Folge seiner menschlichen Vorzüge waren. Nichts gibt es auf den Blättern der Geschichte, das mich so ergriffe wie die nicht seltne Wahrnehmung, daß bedeutende Menschen oft gerade da, wo sie fehlgreifen, ihren eigentlichen Charakter in das schönste Licht stellen. Unser großer König ist beispielsweise nirgends größer als in dem Irrtum, den er bei Gelegenheit des Müller Arnoldschen Prozesses beging, und wenn er in diesem Irrtume befangen einem in allen Lebenslagen erprobten Ehrenmanne wütend seinen Krückstock nachschleuderte, so war das keine Tat tyrannischer Laune, sondern das Aufbrausen eines empörten Rechtsgefühls. Daß er schließlich unrecht hatte, hebt das schöne Gefühl, aus dem heraus er handelte, nicht auf. Genauso lag es mit meinem Wilhelm von Merckel. Er war immer, wenn auch freilich auf etwas altmodische Weise, für »Freiheit« gewesen, und als sie nach den Märztagen mit etlichen Überschreitungen sich einstellte, rief er nicht bloß nach der Polizei, sondern schrieb auch sein zu einer gewissen Notorität gelangtes Lied »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten«. Und auch damit schloß er den Wechsel seiner Stimmungsansichten noch nicht ab. Denn kaum, daß die »Soldaten geholfen hatten«, so mißfielen ihm auch wieder die konservativ-orthodoxen Tendenzen, die jetzt verdoppelt zur Herrschaft kamen, und er veröffentlichte seinen schon erwähnten »Frack des Herrn von Chergal«, eine politische Geschichte, die auf die Verhöhnung eines reaktionären oder wenigstens völlig unzeitmäßigen Gebarens hinauslief. Wer ein geringstes Abweichen von einem ihm als Ideal erscheinenden Mittelkurs seiner Natur nach nicht vertragen kann, vielmehr bei Wahrnehmung jeder kleinsten Ausschreitung nach links oder rechts hin sofort Veranlassung nimmt, in das entgegengesetzte Lager überzugehen, der ist zum Politiker absolut ungeeignet. Und das traf bei Merckel

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