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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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zu. So kam er denn, solang er in der Unruhe der vor- und nachmärzlichen Tage stand, aus dem Unzufriedensein über die damaligen Zustände nicht heraus, aber diese Schwäche wurzelte doch auch wieder in etwas menschlich Schönem: in seinem starken Rechtsgefühl, in seiner ganz auf das Maß der Dinge gestellten Persönlichkeit.
    Daß er mit ganzem Herzen an dem Tunnel hing und in natürlicher Folge davon ein überaus beliebtes Mitglied war, hob ich schon hervor. Unser Verein hatte sehr viel von ihm, menschlich, gesellschaftlich, literarisch. Seine mit Sorgfalt und Liebe geschriebenen Protokolle leiteten unsere Sitzungen ein und waren Kabinettsstücke liebenswürdigsten Humors. Vielleicht sind sie das Beste, was er überhaupt geschrieben. Auch an der eigentlichen Tunnel-Produktion nahm er teil und versuchte sich auf jedem Gebiete, lyrisch, dramatisch, in Erzählung, Idyll und Satire. Allen gemeinsam ist eine bis ins kleinste gehende Detailmalerei, die, wenn sie Schwerfälligkeit und Unklarheit zu vermeiden weiß, den Mann von Fach vom Dilettanten unterscheidet. Und so war er denn in diesem auf die künstlerische Behandlung gerichteten wichtigen Punkte
kein
Dilettant. Aber in der Hauptsache war er's doch. Er gab eben überall nur Gastrollen, versuchte dies und das, auch mit gelegentlich großem Geschick, aber niemals empfand man: das
mußte
geschrieben werden. Es waren Einfälle, nicht Notwendigkeiten; »Beschäftigung, die nie ermattet.« Sein Bestes lag nach der Seite der Satire hin. In einem, nach seinem Hinscheiden unter dem Titel »Kleine Studien« erschienenen Bande finden sich zwei kurze Geschichten: der »Zensor« und der schon mehrerwähnte »Frack des Herrn von Chergal«, Erzählungen, die diesen satirischen Charakter tragen und als Glanzstücke nicht bloß Merckelscher Schreibweise, sondern überhaupt als Musterstücke gelten können. Die erstgenannte Geschichte, das damalige Zensurunwesen persiflierend, ist unter den genannten beiden die künstlerisch bessere. Ein Assessor meldet sich bei Exzellenz, dem Minister des Innern, der in den letzten Tagen wieder mehrere Zensoren wegen Unfähigkeit entlassen mußte. Die Situation ist mithin eine für den Assessor denkbar günstigste und führt dann auch um so rascher zu seiner sofortigen Zensoranstellung, als er durch Schliff und Sicherheit sogar seiner Exzellenz zu imponieren weiß. Und schon am andern Tage gibt er die Beweise seines Könnens. Aber freilich
so,
daß sein Eifer noch furchtbarer empfunden wird als die Laxheit seiner Vorgänger, weshalb ihn Exzellenz mit den Worten andonnert: »Gehn Sie zum Teufel.« »Nichts leichter als das«, antwortet der so ungnädig Entlassene. Denn er ist eben niemand anderes als der gute alte Mephisto in einer seiner vielen herkömmlichen Verkappungen. Auch der Teufel hat es als preußischer Zensor nicht aushalten können, und in der nächsten Morgenzeitung liest die Hauptstadt die Freudens- beziehungsweise Schreckensnachricht, »daß Preßfreiheit ausgebrochen sei«.
    Die zweite Geschichte – der »Frack des Herrn von Chergal« bleibt an künstlerischer Abrundung hinter der ersten zurück, steht aber doch höher, trotzdem sie das Schicksal so vieler Satiren teilt, ohne Kommentar gar nicht verstanden zu werden. Wem dieser Kommentar fehlt, der erfährt nur von einem uralten legitimistischen Erbfrack, den sein Inhaber, eben der Herr von Chergal, à tout prix bei Leben erhalten will, was dann schließlich dahin führt, daß besagter Frack infolge beständiger Ausflickungen und Änderungen gar nicht mehr er selber ist, aber trotzdem noch immer als das »unantastbare Heiligtum von ehedem« angesehen und getragen wird. Die Wendungen und Wandlungen, die das arme Ding durchmacht und die doch alle darauf hinauslaufen, in ihm etwas »Unwandelbares« besitzen zu wollen, bilden den Inhalt der Erzählung, in der man es, oberflächlich angesehen, lediglich mit einem exzentrischen oder spleenhaften alten Herrn zu tun hat, der eigensinnig an einer Schrulle festhält. Was
eigentlich
dahinter steckt, davon merkt man nichts oder merkt es zu spät oder merkt es falsch. Dieser Frack des Herrn von Chergal ist nämlich nichts als die
altmodische ständische Verfassung,
die Herr von
Gerlach
– Chergal ist eine bloße Buchstabenumstellung dieses Namens – unter allen Umständen konservieren wollte. Man wird dem Ganzen ein gut Stück allerliebste Originalität nicht absprechen können, aber es ist doch verlorene Liebesmüh geblieben. So war's schon

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