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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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eigentlich ankam, war doch noch mehr das Treffen der gesamten Schauspielerpersönlichkeit, und darin ruhte vor allem die frappante Wirkung.
    Lucae war, auf seine Liebenswürdigkeit und mehr noch auf seine Talente gestützt, ein allgemeiner Gesellschaftsliebling und hatte Anspruch darauf wie wenige. Und doch bildete die »Gesellschaft«, dieser Schauplatz seiner Triumphe, zugleich den Schauplatz seiner Niederlagen. Er war der artigste Mensch von der Welt und verfiel trotzdem, ganz ohne Wissen und Schuld, beständig in Taktlosigkeiten; er war der friedliebendste Mensch und hatte jeden Tag kleine und mitunter auch große Streitigkeiten; er war der politisch vorsichtigste Mensch und stieß politisch immer an. Wohlerzogenheit, natürliche Klugheit, gute Sitte – nichts half. Wer das Leben beobachtet hat, wird wissen, daß das öfter vorkommt und daß über einzelnen, und zwar immer ganz harmlosen Menschen ein eigener derartiger Unstern steht; gehöre selber mit dazu, kann also darüber mitsprechen und bin in zurückliegenden Jahren oft sehr unglücklich darüber gewesen, bis mir einmal ein alter Geheimrat unter resigniertem Achselzucken sagte: »Ja, lieber Freund, dagegen
ist
nichts zu machen. Wem das anhaftet, der muß sich drin finden. Ich bin um gute zwanzig Jahre älter als Sie, aber ich komme auch nicht draus heraus; es ist ein tragikomisches Verhängnis.« Von dem Tage an wurde ich ergebener; aber was mich vielleicht noch mehr beruhigte, war doch die sich mir gerad um ebendiese Zeit aufdrängende Wahrnehmung, daß ich neben meinem Freunde Lucae nur ein Stümper war.
    Ich greife zur Illustrierung hier ein paar Beispiele heraus.
    Einmal war er in eine große Ministerialgesellschaft geladen, und unter den Geladenen befand sich auch ein hannoverscher Graf, reich, klug, hoch angesehen, der, im Gegensatz zu so vielen anderen seiner Landes-und Standesgenossen, allen Welfismus abgetan und sich zu Preußen und König Wilhelm bekehrt, ja sogar bald nach der Einverleibung Hannovers ein hohes Staatsamt übernommen hatte. Der Graf saß Lucae gegenüber, die Komtesse-Tochter neben ihm. Er plauderte lebhaft und unterhaltlich mit seiner liebenswürdigen Nachbarin, und als der Zufall es fügte, daß man auf Napoleon I. und den General Moreau zu sprechen kam, sagte Lucae: »Ja, dieser Moreau; die Kanonenkugel riß ihm beide Beine weg, und so schrecklich dies ist, so muß ich doch sagen, ich habe darin immer was von göttlicher Gerechtigkeit gefunden; – ich hasse jeden Rigorismus, aber sein Land aufgeben und in den Dienst einer anderen Sache treten, dagegen lehnt sich mein Gefühl auf.« Die Komtesse schwieg, der alte Graf, der alles gehört hatte, lächelte; Lucae selbst aber, Politik war nie seine Sache, kam erst um vieles später zum Bewußtsein dessen, was er da mal wieder angerichtet hatte.
    Alle die bekannten, oft bis zum Schrecknis sich steigernden Verlegenheitssituationen, die durch unvorsichtiges Fragen in fremder Gesellschaft so leicht geboren werden – alle diese Situationen waren Lucaes eigentliche Domäne. Wenn man ihn acht Tage nicht gesehen hatte, war immer wieder etwas passiert. Auch mit seinen Berolinismen, in denen er sich nur allzugern bewegte, stieß er beständig an, weil er entweder ihre Tragweite nicht richtig erwog oder aber in seiner Erregtheit vergaß, vor
wem
er überhaupt sprach. Einmal war er ins Palais des alten Kaisers Wilhelm befohlen, um diesem einen Vortrag über irgendeine die Schloßfreiheit betreffende Bausache, vielleicht schon im Hinblick auf das siebziger Denkmal, zu halten, und unterzog sich dieser Aufgabe mit der ihm eigenen Lebendigkeit des Ausdrucks. »Ja, Majestät,« sagte er, »wenn nur nicht das
›Rote Schloß‹
wäre.« Der Kaiser, der diese Bezeichnung nie gehört haben mochte, war einen Augenblick wie dekontenanciert und wiederholte fragend das ihm häßlich klingende Wort. »Ja, Majestät«, antwortete Lucae, »das ›Rote Schloß‹ – das ist nämlich die volkstümliche Bezeichnung für den Bau da drüben. Übrigens baulich unbedeutend und außerdem Sitz einer ›Schneiderakademie‹.« Der alte Wilhelm kam aber, trotz dieses Anlaufes, die Sache ins Heitere zu spielen, nicht wieder in gute Stimmung.
    Nicht viel besser erging es dem armen Lucae mit der Kronprinzessin Friedrich. Auch im Gespräche mit dieser handelte sich's um eine Bausache. »Sehen Sie, lieber Geheimrat, da haben wir als bestes das Bibliotheksgebäude, – das einzige Stück Berliner Architektur, das mir

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