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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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»Haralda«, mit »König Radgar« und ähnlichem. Ich mußte mich darüber ausschweigen, ärgerte mich aber, daß er mit solchen Reimereien überhaupt in die Schranken ritt und mitturnieren wollte. So leicht geht das nicht, und wer, wie Eggers das meistens tat, in zwölfter Stunde sich hinsetzt, um »für morgen« noch einen aus dem Vorratskästchen genommenen Balladenstoff in herkömmlicher Nibelungenstrophe zusammenzuleimen, der wird als Regel nicht weit damit kommen. Aber freilich – und das
ist
der Grund, warum ich mich hier überhaupt so freiweg ausgesprochen habe –,
wenn
es ausnahmsweise glückt, was unter tausend Fällen freilich nur einmal vorkommt, so wird der Betreffende mit seiner Improvisation den Vogel abschießen. Denn in solchen Ausnahmefällen erhebt sich das Bummlige zum Natürlichen und stattet nun das bloß Hingeworfene mit einem naiven oder auch mit jenem Inspirationszauber aus, den das bloß Kunstvolle nie hat. Und zu solchem Ausnahmefalle brachte es Eggers, als er, auf eine kleine Zeitungsnotiz gestützt, in einer Winternacht 1871 sein Gedicht schrieb »
Die Fahne vom 61. Regiment
«.
    Es lautet:
     
    Wo ist die Fahne geblieben
    Vom einundsechzigsten Regiment?
    Im Kampf umhergetrieben,
    Wo er am allerschwülsten brennt.
    Kaum war der Streit entglommen,
    Sie wehte straff, sie wehte hoch,
    Die Wogen gehn und kommen,
    Und immer steht sie noch.
     
    Ihr habt sie sehen sinken,
    Doch sich erheben bald darauf
    Und immer wieder winken –
    Zuletzt da stand sie nicht mehr auf.
    »Wo ist sie hingekommen,
    Barg sie der Feind in seinem Zelt?«
    Er hat sie nicht
genommen,
    Er
fand
sie auf dem Feld.
     
    Sie war zerfetzt, zerschossen,
    Die Stange gebrochen und angebrannt,
    So gaben sie die Genossen
    Von sterbender Hand zu sterbender Hand.
    Es deckt sie im Todesmute
    Mit seinem Leibe Held auf Held –
    So lag in
deutschem
Blute
    Sie auf dem
Frankenfeld
.
     
    Das ist ein schönes Gedicht, immer wieder ergreifend; je älter ich werde, je schöner finde ich es.
    Wahrscheinlich war es, in gebundener Rede, mit unter dem Letzten, was Eggers schrieb. Das Jahr darauf, im Herbst 1872, starb er.
     

Richard Lucae
     
    Richard Lucae
– Tunnelname: Schlüter – gehörte mit zu der Kugler-Fraktion, aber doch nur halb und erst durch Eggers vermittelt, der ihn auf den Künstler- und Architektenfesten kennengelernt und dort von Anfang an ein besonderes Wohlgefallen an seiner Erscheinung und seinen glücklichen Einfällen gehabt hatte. Lucae war eminent geistreich im Gespräch, in Tischreden und Tischkarten, vor allem auch in seinem berufsmäßigen Tun als Architekt. Eine Fülle höchst bemerkenswerter Bauten rührt von ihm her: das Theater in Frankfurt a. M., das Polytechnikum in Charlottenburg, das Borsigsche Haus in der Wilhelmstraße – Ecke der Voßstraße –, das Soltmannsche Haus in der Hollmannstraße und das früher Professor Joachimsche Haus in der Zeltenstraße – Schöpfungen, die selbst von denen, die, nach der Seite strenger Kunst hin, vielleicht manches daran auszusetzen haben, um ihres Esprit willen anerkannt werden. Er gehörte zur Schinkelschen Schule, war aber späterhin beflissen, jene rigorose Schlichtheit und ängstliche Detailausbildung zu vermeiden, die gelegentlich zur Langenweile führt. »Ich habe mich früher zu sehr bei den ›Klinken‹ aufgehalten«, pflegte er zu sagen, »jetzt weiß ich, daß es aufs Ganze ankommt.« Diese freiere Behandlung der Dinge, zu der er sich allmählich durchgerungen, ward ihm, je nach dem Standpunkte des Beurteilers, hoch angerechnet oder auch verübelt. In einem Punkt aber stimmten alle Parteien überein: in der Anerkennung seiner großen Liebenswürdigkeit. Im Verkehr war er hinreißend, freilich immer vorausgesetzt, daß er sich von den ihn umgebenden Personen angeheimelt fühlte; war aber, und dies darf nicht verschwiegen werden, auch nur ein einziger da, der ihn durch Wichtigtuerei, Besserwissen oder irgendeine Sonderbarkeit anödete, so verfiel er sofort in demonstrative Gähnkrämpfe, gab Zeichen äußerster Ungeduld und verschwand. Ich habe sehr viele gute Gesellschafter kennengelernt: Faucher, W. Lübke, Roquette, Lepel, Zöllner – Sekretär der Akademie der Künste –, aber unter ihnen keinen, der an Lucae herangereicht hätte; Faucher war die weitaus genialere Natur, Lübke ließ seine Raketen höher steigen und prasselnder zerstieben, Lepel erreichte durch einen grotesken Humor unter Umständen größere Wirkungen, alles in allem jedoch blieb

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