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Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Rieger
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gefangen genommen.
    „ Nimm deine Zunge und sprich mit ihr“, forderte sie eine Stimme auf, von der die große Mutter wusste, dass sie nur dem jungen Mann gehören konnte.
    „ Bla bla bla“, sagte die große Mutter, was sie selbst erschreckte. Erstens, weil sie gar nicht reden gewollt hatte. Zweitens, weil die Stimme so tief war wie die Stimme eines Mannes, den sie einmal gekannt hatte. Es waren so viele Männer gewesen. Welche Stimme gehörte zu welchem Gesicht? Die große Mutter lauschte in sich hinein und sah das Gesicht des Mannes. Es war maskenhaft und hatte drei Augen, dessen wichtigstes Auge in der Mitte saß.
    Wenn sie jetzt genauer hin hörte, hatte sie nicht „Bla bla bla“ gesagt, sondern „Blan blak ga“. Mit einem Mal begriff die große Mutter, dass dies nicht ein Stammeln war, sondern hieß: „Lang lang her.“
    „ Ja, es ist viel Zeit vergangen“, sagte Holmes, oder die Maske, die er trug. War auch er durch die Maske verändert? War er ein anderer, weil auch ihm die Maske ihren Willen aufzwang?
    „ Zu lang her.“
    „ Nein, nicht zu lang“, widersprach Holmes.
    „ Lang.“
    „ Sag uns, wie du heißt“, bat Holmes.
    „ Kang“, sagte die Zunge, was hieß: „Mank.“
    „ Ja, du bist Mank“, sagte Holmes. „Wo lebst du?“
    „ An der Straße.“
    „ An der Straße wohin?“
    „ An der Straße nach Alexandria.“
    „ Ja, genau. Was willst du uns sagen, Mank?“
    „ Sie haben den Widerstand gebrochen.“
    „ Sie haben den Widerstand gebrochen.“
    „ Ja.“
    „ Sie sind eine Gefahr?“
    „ Ja, der Damm ist gebrochen, Herr.“
    „ Der Damm ist gebrochen?“
    „ Ja, Herr.“
    „ Ich danke dir Mank. Du hast Deine Pflicht erfüllt.“
    „ Danke, Herr.“
    „ Sie haben dir die Zunge herausgeschnitten, Mank, und du hast doch gesprochen. Ich danke dir. Ruhe in Frieden.“
    „ Danke, Herr. Der Schutz von Akadnezar ...“
    Jetzt brach die Stimme ab. Es war ein Gefühl, als würde ein Strang reißen. Ein Faden, nur. Die große Mutter empfand dieses Reißen als lustvoll. Und dann begann sie zu husten. Sie hustete und dabei klärte sich alles. Sie sah, dass der junge Mann eine lächerliche Maske auf hatte, die er nun bereits abnahm. Er lächelte und sagte: „Husten Sie ruhig, Madame. Und dann sagen Sie mir, wie es Ihnen geht.“
    „ Es geht mir ausgezeichnet, danke, Monsieur Holmes“, sagte die große Mutter mit ihrer kleinen, hurtigen Zunge in einer zwischen Kreolisch und Französisch changierenden Sprache, die ihr ganz gehörte, „und ich bin Ihnen so unendlich dankbar, dass Sie mich von diesem Bann befreit haben, und das augenblicklich und ohne große Mühe und dass Sie es so liebenswert gemacht haben und mit einem natürlichen Charme, der nur Ihnen eigen ist, werter Herr. Ich bin völlig begeistert, wie schnell und mühelos Sie all das vermögen. Sie scheinen mir so gebildet, so feinsinnig, so kultiviert zu sein und dann beschäftigen Sie sich auch noch mit all diesen Dingen, mit den dunklen und den hellen, und Sie sind ein Meister in allem und verstehen etwas von den Schatten und auch von den ganz normalen Dingen des Alltags, da bin ich ganz sicher, Monsieur Holmes. Ach, Sie müssen mir alles erzählen von sich, was Sie für Gedanken haben und Gefühle, und was Sie schon erlebt haben. Sie sind ja so ein junger Mann und doch schon so reif, mit einem Blick, der das Herz hebt, weil er so einfühlsam ist und so klug. Es ist mir fast, als könnten Sie in mein Herz sehen, ganz direkt und es verstehen, wie es noch keiner verstanden hat, und das ist so schön, das zu spüren, es ist wie ein Atemzug von Frühlingsluft oder der Duft der Blüten an bestimmten Tagen, wenn sich eine Brise hinzufügt von irgendwo her, ein Geheimnis der Ferne ...“
    Holmes hatte schon eine Weile die Hand gehoben, jetzt erst verstand die große Mutter, dass sie innehalten sollte. „Was ist, was habe ich gesagt?“ fragte sie.
    „ Ich bin froh, dass Ihnen die Gabe der Sprache wieder geschenkt wurde, Madame, aber es scheint mir, wir haben es hier mit ernsten Dingen zu tun.“
    „ Ja, gewiss“, nickte die große Mutter, deren mächtige Gestalt und deren riesiger, mit Locken umwölbter Kopf eigentlich hätte vermuten lassen können, dass sie sonst in Alltagsdingen eher ruhig und wenig gesprächig war. Man konnte sie sich mürrisch vorstellen. Aber dass sie plapperte wie ein kleiner, dünner Mensch, das war schon außergewöhnlich, wie sie selbst empfand. „Was schwebt Ihnen vor, Monsieur?“ fragte sie

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