Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle
unbedingt vorstellen musst, Vood – wollt also nach Bagdhad. Warum?“
„ Das ist nicht ganz einfach zu erklären. Es gibt zweifellos eine Verbindung zwischen den Toten, die mit dem Wunsch gestorben sind, noch eine Botschaft mitzuteilen, und den Lebendigen, die für diese Botschaft anfällig sind. Warum aber? Was ist die Verbindung? Darum geht es“, erklärte Voodoo.
„ Aber was ist das Ziel? Soll diese Verbindung abgeschnitten werden, indem man das Übel an der Wurzel ausreisst?“ fragte Sherlock. „Wird dann die Folge sein, dass Menschen nicht mehr im Schlaf reden, nicht schnarchen, dass sie nicht mehr stottern, dass sie sich nicht mehr versprechen? Sind das alles Phänomene dieser toten Zungen?“
„ Ja, wahrscheinlich. Mit Engelszungen reden, nennt man das landläufig. Unverständlich sprechen, dabei aber auch weissagen. Es sind die großen Propheten, die so gesprochen haben, darunter die Pythia. Sie kannten die Zukunft, weil die Toten, die aus ihnen sprachen, keine Zeit kennen. Und diese Stimmen, die die Menschheit immer schon sprechen ließ, die dürfen nicht verstummen. Nein, darum darf es nicht gehen. Das hieße, sich gegen die Natur zu vergehen. Es ist offenbar natürlich, dass Abseitiges aus uns spricht aus der Götterwelt, und die Toten weilen zwar nicht mehr physisch unter uns, aber sie haben doch eine Aufgabe. Die Aufgabe, unseren Lebensweg zu erhellen. Es wäre schrecklich, wenn wir nicht mehr darauf hören würden sondern nur mehr plappern mit unseren lebendigen Zungen, die zwar schön klingen wie die Lieder der Vögel, aber oft auch wenig besagen. Wir sollen das Hören nicht aufgeben, meine ich. Hören, Sherlock, das ist das Organ des Glaubens. Und alles, was den Glauben betrifft, das Jenseitige, das, was über uns allen steht, das ist heilig. Also sind diese Stimmen heilig, auch wenn sie Toten gehören.“
„ Zugegeben. Was aber hilft es, sie zu verstehen?“
„ Wenn wir sie verstehen, wenn wir sie zu Gehör bringen, dann brechen wir den Zauber, den die Toten über die Lebenden haben, und der ist ja nicht natürlich. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihnen ihre Zunge nicht mehr gehört, liegt etwas im Argen. Und meine Vorstellung ist nun, nachdem es mir gelungen ist, den Zauber bei meiner Begleiterin, Madame Felix-De Gracieu zu brechen, dass die Bahn frei geworden ist zur Lösung des Rätsels des Kriegers Mank, der einmal in Mesopotamien lebte. Denn wir vermuten zwar, warum er sprach – um seinen Herrn zu warnen, obwohl ihm vom Feind wahrscheinlich die Zunge herausgeschnitten worden war – aber wir wissen nicht, wie er das tut. Das müssen wir herausfinden. Und wenn wir es herausgefunden haben, werden wir allen anderen auch helfen können, ihre wahren Zungen zurück zu finden. Und ich glaube, um das zu tun, müssen wir nach Mesopotamien.“
„ Eine weite Reise“, gab Sherlock zu bedenken. „Und du musst wissen, dass die Kulturschätze, die man dort gefunden haben, zum Großteil hier bei uns sind, in London. Das britische Museum hat sie. Vielleicht gibt es dort auch eine Säule, die den Krieger Mank verherrlicht. Erkenne ihn an der abgeschnittenen Zunge“, fügte Sherlock lächelnd hinzu.
Voodoo saß wie vom Donner gerührt. „Das ist eine großartige Idee!“ sagte er schließlich. „Nicht, dass wir darauf hoffen, die Knochen des guten Mannes im britischen Museum zu finden. Aber irgend einen Schnipsel, einen Kratzer an Information, die uns sagt, was ihn ausgemacht hat, das könnte sein.“
„ Darüber kann dich Sir Brian aufklären. Er ist stellvertretender Direktor des Britischen Museums und ein Spezialist für Vorderasien und somit der Kulturen des Mittleren Ostens. Er wird dir sagen können, ob es eine Statue ohne Zunge gibt. Oder ein versteinertes Holzstück mit einem Zungenzeiger drauf. Kennst du das, Zungenzeiger?“ Sherlock streckte spielerisch seine Zunge heraus.
„ Nein“, bekannte Voodoo.
„ Ein erotisches Symbol, nicht wahr, Watson? Sie finden es doch erotisch, oder?“
„ Hm.“
„ Die Zunge. Sie spricht doch für unsere erotischen Bedürfnisse, Watson. Ihre Worte! Und wer gern die Zunge zeigt, muss mal wieder ordentlich, wie nennen Sie's eigentlich?“ Sherlock starrte seinen Freund an, der erst mal peinlich berührt zurück glotzte, weil hier offenbar von Gesprächen die Rede war, die er für private gehalten hatte.
„ Ja, ich bin ein Verfechter der Psychoanalyse des Wiener Nervenarztes Freud“, sagte Dr. Watson dann nach einem Räuspern,
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