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Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Rieger
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ihnen hatte Bedrohliches geleuchtet, und nun war der Spuk mit einem Mal verschwunden. Die große Mutter schaute auf das Boot hinüber, strich mit den Blicken das Deck ab, und es war ihr, als würde sie in der Kajüte einen Lichtschein sehen. Und war es möglich, dass dort Rauch aus einem Kaminrohr aufstieg? Ein kleines Ruderboot lag da. Sie stieg hinein, stieß sich ab und ruderte hinaus zu dem kleinen Schiff, ein Zweimaster, der in den Fluten tanzte. Als sie auf wenige Schritte an das Schiff herangekommen war, sah sie dort einen Mann stehen, eher klein von Statur und schwarz, in dichte Regenmäntel gehüllt, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen. Er hatte die Hände zuerst in die Taschen geschoben, doch nun warf er ihr ein Seil zu, das sie dankbar ergriff, um das Ruderboot am Rumpf des Schiffes zu befestigen. Eine Strickleiter wurde herabgelassen, und die große Mutter arbeitete sich hoch, was aufgrund ihres großen Gewichtes das Schiff tanzen ließ. Zuletzt half ihr der Mann, indem er ihre Hand nahm und zu sich an Deck zog. Als die große Mutter neben ihm stand, stellte sie fest, dass sie ihn bedeutend überragte. Er war kein Zwerg, aber auch nicht groß, ein drahtiger Mann, von dem sie zu anderer Gelegenheit auch schon verächtlich gesagt hatte, dass man bei so einem nicht viel in der Hand hätte. Sie schaute in sein Gesicht. Es war schmal und jung, so jung, dass sie ihn fast für eine Frau gehalten hätte.
    „ Mariela Felix-De Gracieu, nicht wahr? Mein Name ist Holmes, Madame“, sagte der junge Mann auf Französisch, „Voodoo Holmes. Ich glaube, mit Voodoo haben Sie Erfahrung. An den Holmes werden Sie sich gewöhnen.“
    Die große Mutter wollte etwas sagen, doch sie brachte durch ihre geschwollene Zunge nur Gebrabbel heraus.
    Holmes wies in seine Kajüte, die groß genug war, um einen kleinen Ofen zu bergen, der es hier unten sehr gemütlich machte. Er hatte den Esstisch mit einem kleinen Tuch bedeckt und Teetassen aufgetragen. Zuerst aber drückte er ihr mehrere trockene Tücher in die Hände und wies auf den zweiten Teil der Kabine: „Da drinnen sind Beinkleider eines Seemanns, der offenbar ihre Taille hatte, und einer seiner Pullover. Selbst wenn Sie eine große Heilerin sind, so sollten Sie sich doch nicht unnötig verkühlen.“
    Die große Mutter betrat den Nebenraum, in dem ein großes Bett stand. Sie zog ihr nasses Kleid aus und hängte es auf einen Haken, trocknete sich mit einem Tuch und schlüpfte in die Kleider. Da es hier drinnen warm und trocken war, fühlte sie sich augenblicklich besser. Sie kehrte mit scheuen Bewegungen und sich vorsichtig umblickend zurück an den Esstisch, setzte sich dort auf den Stuhl, den ihr Holmes heraus gezogen hatte und schaute ihn an. Er saß auf einem Sessel, der etwas zu tief für den Tisch war, und in dem er wohl sonst las, und rührte den Zucker in seiner Teetasse um. Der Eindruck dieses kleinen Mannes, dieses Buben fast, der in diesem niedrigen Sessel am Tisch ruhte, war fast komisch. Wie ein Lausbub, der einen in sein Baumhaus einlädt. Wie alt mochte er sein? Er war noch vor seiner Pubertät, schien ihr.
    „ Sie sind heute aufgewacht, und ihre Zunge war vertauscht“, sagte Holmes im sachlichen Tonfall.
    Die große Mutter nickte.
    „ Ja, ich verfolge das alles in meinen Träumen“, erwähnte er. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich hier eingeträumt habe. Ich bin schon zwei Jahre hier auf der Insel, aber die ersten Monate lebte ich ein Leben ohne Gedanken und ohne Gefühle. Und erst seit einigen Wochen merke ich, dass ich mit allen verbunden bin, und mit niemandem mehr als mit Ihnen, wie mir scheint, Madame. Ich glaube, Sie wissen das.“
    Die große Mutter schüttelte den Kopf.
    „ Und doch erinnern Sie mich sehr an meine Mutter. Was komisch ist, wenn ich das sage, denn ich habe sie nie gesehen. Ich bin ein Kind der Insel, Madame. Sofern man ein Kind dieser Insel sein kann. Vielleicht sollte ich es anders formulieren: Meine Mutter und Ihre Mutter, Madame, stammen aus Afrika. Es sind unsere Väter, die sich unterscheiden. Mein Vater war Engländer, ein weißer Mann. Aber die Menschen gehen nach ihren Müttern, und ich weiß, dass meine Mutter – wenn ich es jetzt etwas pathetisch formulieren soll - diese Insel ist. Sehen Sie, meine Mutter ist lange tot.“
    Die große Mutter machte ein bedauerndes Gesicht. Sie wusste nicht, was der junge Mann von ihr wollte. Aber es war gemütlich hier auf seinem Boot, und das Schaukeln lullte sie nach dem

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