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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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etwas zögerlicher und vorsichtiger, dann setzte sie hinzu: »Ist aber schon etwas länger her. Wieso?«
    »1884?«, fragte Celia.
    »So lange nun auch wieder nicht. ’84 war ich noch in Blackburn.«
    »Kennst du einen Ned Brooks? Hast du den Namen schon mal gehört? Er hat für Tom Norman in der Whitechapel Road gearbeitet. Oder dort gewohnt.«
    »Dein Vater?«, fragte Maureen und schüttelte den Kopf, als Celia nickte. »Der Name sagt mir nichts. Als was ist er denn aufgetreten?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete Celia und starrte auf ihre Finger, als würde ihr Blick wie von einem Magneten angezogen. »Er war eigentlich kein Schausteller, jedenfalls konnte er nichts Besonderes. Er war Seemann. Einfacher Matrose. Auf Rennjachten und so.«
    »Kenn keinen Matrosen mit dem Namen«, antwortete Maureen, beugte sich vor und legte ihre Hand auf Celias Knie. »Und Tom Norman hab ich erst vor zwei Jahren kennengelernt. Da hat kein Seemann für ihn gearbeitet. Oder bei ihm gewohnt. Tut mir leid.«
    »Hätte ja sein können«, murmelte Celia enttäuscht.
    Hinter dem Bettvorhang tuschelten Luisa und Carlos auf Spanisch miteinander.
    »Genug geplaudert«, mischte sich Heather ein. Sie hatte ihren Becher ausgetrunken, stand auf und klatschte laut in die Hände. »Wir müssen los, Kindchen, sonst lassen sie uns nicht mehr rein.«
    »Wo rein?«, wunderte sich Maureen.
    »Hanbury Street«, antwortete Heather ausweichend. »Da wohnen wir.«
    »Im Frauenasyl«, setzte Celia hinzu und erntete einen bösen Blick.
    »Verstehe«, sagte Maureen. Sie war nicht Schauspielerin genug, um ihre Genugtuung zu verbergen. »Dann beeilt euch, damit ihr nicht auf der Straße übernachten müsst. Aber wir sehen uns bestimmt bald wieder.«
    »Bestimmt«, antwortete Heather, aber es klang wie: »Lieber will ich sterben!«
    »Caníbal del mar«, sagte Luisa in diesem Augenblick hinter ihrem Vorhang, allerdings so laut, dass die Worte unmöglich für Carlos bestimmt sein konnten.
    »Was heißt das?«, wollte Maureen wissen.
    »Kannibale von Meer«, erklärte Luisa und schaute hinter dem Vorhang hervor. »War Matrose bei Silver King. Hab ich gearbeit auch für Norman dann.«
    »In der Whitechapel Road?«, fragte Celia mit bangem Herzen.
    »Da und anders«, antwortete Luisa. »War ich nicht lange in Engeland und können ich nicht gut Sprache.«
    »Ein Glück, dass du die Sprache in der Zwischenzeit beherrschst«, lachte Heather und bekam von Maureen einen Tritt gegen das Schienbein.
    »Warum Kannibale des Meeres?«, fragte Celia.
    »Menschenfressen«, sagte Luisa und fuhr sich über den Bart.
    »Ich weiß, was ein Kannibale ist«, sagte Celia mit zittriger Stimme und näherte sich dem Bettvorhang. »Hieß dieser Matrose Ned Brooks?«
    »No sé«, antwortete Luisa, »war Name nur Kannibale von Meer. Fressen Menschen. Essen rotes Fleisch auf Bühne. Und viel trinken Alkohol. Immer betrunken vor Auftritt. Mehr weiß nicht. Perdón!« Damit verschwand ihr Gesicht wieder hinter dem Vorhang.
    Celia schaute Hilfe suchend zu Maureen, doch die hob lediglich bedauernd die Schultern und schob die Unterlippe vor. »Von dem Kannibalen hab ich nie gehört. Wenn du was über deinen Vater wissen willst, solltest du mit Tom Norman sprechen. Er wird dir mehr sagen können.«
    »Weißt du, wo er ist?«
    Wieder schob Maureen die Unterlippe vor. »Wir haben keinen Kontakt mehr«, sagte sie und lächelte gequält. »Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hatte er ein gutes Dutzend Penny Gaffs in ganz England. Keine Ahnung, wo der sich gerade herumtreibt.«
    Celia nickte, hob die Hand zum Gruß und folgte Heather hinaus.
    »Brauchst du eigentlich Arbeit, Heather?«, fragte Maureen, während sie das Laken zur Seite hielt. »Ich könnte dir was beschaffen.«
    »Soll ich auch meine Gräten verbiegen?«, antwortete Heather schnippisch. »Oder mir ’nen Bart wachsen lassen?«
    »Ich bräuchte eine Assistentin, wenn ich im People’s Palace auftrete«, sagte Maureen und schaute drein, als wüsste sie genau, wie Heather reagieren würde. Als hätte sie diese Frage nur aus diesem einen Grund gestellt. »Ich könnte zwar nicht viel zahlen«, setzte sie achselzuckend hinzu, »aber für ’ne vernünftige Bleibe würde es allemal reichen. Was sagst du?«
    »Deine Assistentin?«, entfuhr es Heather, während sie auf dem Absatz herumfuhr und zum Treppenhaus stapfte. »Soll ich dir beim Anziehen und Pudern helfen? Oder willst du auch noch den Hintern abgewischt bekommen? Assistentin!

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