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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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Lütti entschuldigt. »War nicht gegen dich persönlich gewesen.« Lütti hat das verstanden und akzeptiert. Das Versöhnungsbesäufnis war gleichzeitig eine Feier, weil Micha wieder raus war aus dem Knast. Und der Lütti hat sich dann auch entschuldigt, weil bei ihm war’s auch nicht persönlich gewesen, dass er Micha verpfiffen hat, aber zweimal war eben einmal zu viel. Micha hat das natürlich auch verstanden und akzeptiert.
    Jetzt im Ernst, was sollte man hier klauen? Das DDR -Zeug? Davon hat jeder noch genug zu Hause. Solang noch ein DDR -Fön irgendwo Haare trocken kriegt, ist die DDR nicht tot.
    Die Tür zur Kellertreppe ist offen, von unten dringt etwas Licht herauf. Das Treppenlicht geht aber nicht. Johann lauscht. »Hallo? – Mu?«
    Er sollte da nicht runter, er geht da runter. Ein langer Gang, an dessen Ende die große Tür offen steht. Das Licht kommt aus dem Raum dahinter. Das Archivarium. Mu spricht ständig von ihrem Archivarium. Würde ihr das Herz brechen, wenn jemand –
    Johannkennt den Raum von der 700-Jahr-Feier, da war er fast leer.Jetzt ist er vollgestopft mit Büchern in Regalen und auf anderen Büchern, mit Papierstapeln überall. In der Ecke ein richtig fettes Hirschgeweih. In der Mitte ein Tisch, darauf Schreibzeug, eine Lupe und noch mehr Papier.
    Am krassesten ist das Leder: vier riesige lederne Wandteppiche, oder wie man dazu sagt, aus lauter einzelnen Lederstücken. Johann fährt mit den Fingern über eines, es ist kühl. Darauf Zeichen, kaum lesbare Buchstaben. Ein Datum, September 1636. Jedes einzelne Stück ist beschrieben und datiert. Es ist, als hätte der Raum eine Haut aus Leder und Schrift.
    Eine Maus schreckt Johann auf. Huscht durch den Raum, verschwindet hinter einer Truhe. Mu anrufen oder gleich die Bullen? Er hat keinen Empfang. Vielleicht war das nur der Wind mit dem Fenster oben. Aber wieso ist die Tür hier auf?
    Ein riesenhafter Foliant liegt auf dem Lesepult, die fein verzierten Seiten angekokelt. Johann macht ein Foto von dem Buch. Die schöne, alte Schrift. Eigentlich wollte er doch nach den Glocken sehen. Aber wenn er schon mal hier ist …
    In langer Reihe ist das Dorf unter der Erde geseßen, und die Erde ist kalt gewesen, und als ein Huhn behäglich zu kackeln begann, hat der Hufschmidt Barth ihm den Hals umbdreht, und niemand sprach ein Wort.
    Plötzlich das Geräusch von fein rieselndem Sand. Scheiße. Johann dreht sich um. Im Gang brennt wieder Licht, ein Schatten vor der Tür – er stürzt los –, die zufällt gegen das Trommeln seiner Fäuste, in seine Rufe.
    Die Anzeige auf dem elektronischen Schloss wechselt von Grün auf Rot.

1594 KAM MIT ANGEHENDEM JAR EINE WUNDERBARLICHE PROCESSION nach Fürstenfelde . Vor dem Prenzlower Thore hielten etliche von Pferden und Ochsen gezogene Karren, von denselben die Leute gesprungen und getanzet und gesungen und allseitig toll und sehr frei gerast oder gleichwol darauff in Ketten gelegen und erbarmungswerth geheulet oder gekrischen oder mit unverstendtlich Zunge fabuliert.
    Aus ihrer tobenden Mitte traten vor das versamlete Dorf zwey Mannen, der eine gross, der andre klein, beide mit langem Barte und außländisch verzirten Kleidern von einem feinen Tuche, dasselbe allfarbig geblincket. Unumwunden offerirten sie ein merckwürdig Handel: Das Dorf möge ihnen lassen bis zur Morgenstund all seine Stumpffsinnigen und Rasenden, Tobesühtigen und Hirnwüetigen, in Wanwitz und Fantasia und Nostalgia Erregten, all seine vom Teuffel irr Geführten und von Verzwifelungen und Engsten Angefochtene, also daß sie bis ans Nordermer gebracht werden, wo ein grosses Mereschiff warte, dasselbe sie mitnehmen werde, wie dieß die Sitte sei und für ewigk also geschehen werde – um je 10 tl. für 1 solche Person.
    Gross war hernach unser Schweigen, in dasselbe der Kleine gerufen: Wir wissen, sich zu trennen vom eignen Blut und Fleisch ist nicht leicht, gleichwol wissen wir, daß euch alsbald vieles leichter fallen wird. Seht sie euch doch an, mit welch froh Gemüth und auffs best versorgt sie droben miteinander tanzen unter Ihresgleichen. Gar wenn ihr gedenket, selbst in den Wan seid verfallen, also stellet euch hinzu, die Raise wird schön!
    Das Volck sammlete sich und sinnte darob, was zu thun christlich und gut were. Es konnte es nicht sagen, und also hat jedermenniglich selbst das Urtheil gefellet.
    Die Nacht hatte keine Ruh in den Schreyen der Wansinnigen und allerhand Saitenspiel. Am Morgen ist die Procession weiter gezogen. Ja,

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