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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saša Stanišic
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die Büsche. Vorsicht ist dem Feld egal, sie kommt kaum voran, bleibt mit ihrer Kleidung hängen, bleibt geduldig.
    Der Blitz hat die Eiche gespalten, den Baumstamm von innen gesprengt. Er ist weiß, weißes Holz. Die Luft riecht nach Rauch, bilden wir uns ein. Die Erde ist aufgewühlt, eine enge Grube, als hätte der Blitz in der Erde gerührt. Oder: als hätte jemand gegraben.
    Hell in der Erde zwei Schädel. Gelbliches Weiß hungriger Zähne. Anna auf den letzten Metern, in einer Woche beginnt das Semester, Schiffstechnik in Rostock, sie möchte Schiffe konstruieren, sie möchte, dass die Schiffe, die sie konstruiert, gebaut werden, dass andere sie über die Meere lenken. Sie beugt sich über die Schädel, will einen von ihnen aufheben, steckt einen Ast in dessen Augenhöhle, und eine Hand legt sich auf ihre Schulter.
    Wir würden schreien. Anna bleibt gefasst. Der Schädel rutscht vom Ast, er fällt, wird von fremder Hand im Flug aufgefangen.
    »Grad noch gut gegangen«, sagt der Lange, der Schöne, und grinst den Schädel an.
    »Christlich Begräbnis haben die nicht empfangen.« Der Kleine, der Stämmige, geht am Grubenrand in die Hocke.
    Es sind Annas Retter der frühen Nacht, Anna atmet durch, schüttelt die Hand von ihrer Schulter.
    »Was wollt ihr denn noch hier?« Solange man die richtigen Worte mit fester Stimme sagen kann, muss man sich nicht fürchten.
    »Wir wollen nicht gehen, ehe wir uns noch mal sehen«, sagt Q und betrachtet den Schädel, pult mit dem Zeigefinger Erde aus den Löchern. Henry zupft seinem Kameraden Laub aus dem Mantel. Sie haben Kippen dabei, Bier in Dosen. Anna will nicht mittrinken, komm schon, nein.
    Q gibt Henry Feuer, die Flamme schießt aus seinem Daumen. Der taucht die Hände in die Grube wie ein Chirurg in den Leib, die Knochen klappern, er holt den zweiten Schädel heraus. Q hält seinen an die Wange, als wollte er Anna die Ähnlichkeit zeigen.
    »Die Eiche«, sagt Anna, »die Schwermuth hat mal erzählt, dass hier Leute gehenkt wurden.«
    »Unschuldig kommst du ins Leben, schuldig womöglich zu Tode.«
    »Der Strick war eine öffentlichkeitswirksame Methode.«Sie lachen. Anna bleibt ernst. Sie stoßen mit den Schädeln an. Auf die Toten! Sie trinken. Henry gibt seinem Schädel auch einen Schluck.
    »Wer –«, Anna zögert, » was seid ihr?«
    Q zieht den Mantel aus, legt ihn Anna um die Schultern. Henry schreitet um die Grube, klappert rhythmisch den Unterkiefer auf und zu, Q gesellt sich zu ihm, sie sind jetzt Schauspieler, und das ist der finale Akt. Nicht Anna, das Grab ist das Publikum.
    Gemeinsam, bedächtig: »Wir – sind, was ihr gern wärt: unbeschwert, abgeklärt, Macht und dagegen Seitenhiebe, gerechte Rächer, edle Diebe. Wir sind der Furor alter Lieder, sind euer wild und euer bieder.« Leise: »Sind zwei, die mit dem Hals in Schlingen ewig singen.«
    Henry steckt dem Schädel seine Zigarette an. Sie warten. Das Feld knistert wie Feuer vertraut.
    Die Zigarette verglimmt. Sie legen die Schädel behutsam in die Grube zurück. Schütten die Erde mit bloßen Händen auf. Anna holt Schramms Pistole aus der Jackentasche. Legt sie dazu. Hilft ihnen.
    Sie begleiten Anna zum Gehöft, nehmen die Mützen ab, verneigen sich, wie sich’s gehört, der Abschiedsgruß ist kurzgehalten, da gehen sie schon, zwei ungleiche Gestalten, querfeldein durch die Uckermark, der eine lang und schmal, der andre kurz und stark.

WIR SIND ERSCHÖPFT, DIE VÖGEL NEHMEN KEINE RÜCKSICHT. Die Dämmerung, die Ziegel, die Feldsteine: klamm. Der stumme Suzi nimmt den Umweg am See entlang. Nebel balanciert auf dem Wasser. Frau Kranz packt zusammen. Suzi bietet Hilfe an. Nein. Die alte Frau watet durch das Schilf. Sie zeigt Suzi das Gemälde. Die Lippen bläulich. Sein Blick wandert von links nach rechts. Er geht näher ran. Frau Kranz will seine Meinung wissen.
    Suzi zeigt: »Ich – Künstler – kein.« Suzi lächelt.
    Frau Kranz zeigt auf sich: »Künstler – kein.«
    Suzi schüttelt den Kopf etwas verlegen.
    Unterhalb der Ruine von Schielkes Hof steckt ein Kühlschrank im matschigen Grund, eine Dose Tunfisch darin. Suzi lächelt. Von hier aus gesehen existiert kein Fürstenfelde. Der Nebel wird sich zwar heben, und ein heiteres Wetter wird zum Fest sein, aber jetzt ist da kein Dorf, es gibt keine Geschichten mehr, keine Wunder. Es gibt Suzi und einen Pfad am See, gesäumt von Johannisbeerbüschen.
    Dieser Suzi, als Kind blond, als Mann schwarzhaarig. Rücken gerade, Suzi. Sein Vater trank

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