Vor dem Fest
geschlossen! Ihr Flügel! So groß und nützlich! Und so weiter, wobei wir an dieser Stelle jetzt schon anmerken müssen, die Geschichte wüsste heute niemand, wenn Frau Schwermuth sie nicht entdeckt hätte.
An der Stelle, wo Poppo von Blankenburg einen Tag lang einer Mühle geschmeichelt hat, sie umgarnt und ihr Zärtlichkeiten zugeflüstert hat, bis er am Abend ein Seufzen hörte, vielleicht von der Mühle, vielleicht vom Wind, worauf ihm ein Mehl gelang so fein und so rein, dass beim Annenfeste, welches bald gefeiert wurde, die Bauern kaum noch Fleisch anrührten, nachdem sie vom Brot gekostet hatten, steht heute ein Windrad.
Die vierte Mühle, die auf der Postkarte, demolierten die Weißrussen in den letzten Kriegstagen. Dann fiel ihnen ein, Mehl wäre gar nicht schlecht, also brachten sie die Mühle wieder zum Laufen. Das Brot schmeckte säuerlich, schmeckte fantastisch, jedem, der was abbekam. Auch das mahlende, schleifende Geräusch haben wir noch im Ohr. Wir erinnern uns an Alwin, den Müllergesellen während des Krieges. Schiefe Zähne hatte der und konnte Zauberstücke, ließ der Knechte Münzen verschwinden, wenn sie das Mehl abholten, und Tage später fanden sie die Münze im Brot, großes Aha. Als hygienische Gründe Gründe wurden, musste Alwin das Spiel einstellen, von da an erriet er immer den Herzkönig. Die Weißrussen haben ihn vor der Mühle erschossen, Alwin hat er geheißen, schiefe Zähne hatte er und konnte Zauberstücke.
Einen Namen hatte die Mühle, er ist verschütt gegangen.
1960 wurde sie eingerissen und nach und nach abgetragen, in unsere Gärten, Mauern, Keller.
4. Die Promenade : Zwischen Eschen, damals wie heute, da wird sich nicht viel ändern. Links der See, rechts die Stadtmauer. In der Mitte eine Bank. Schattig. Ein schattiges Motiv. Auf der Bank sitzen eine junge Frau und ein junger Mann und halten fast Hände. Sie in Weiß, mit Brosche am Kragen, er mit Schnurrbartmode. Das Jahr ist 1941. »Guten Tag«, sagt kaum jemand. Entweder du grüßt mit »Heil Hitler«, oder du grüßt nicht, aber gerade an einem öffentlichen Ort wie der Promenade möchte niemand unhöflich erscheinen.
Ein unauffälliges Paar. Nicht zu schön. Nicht zu fein. Die Hände vielleicht zwei Zentimeter auseinander. Wir sagen »Paar«, weil wir wissen, wie das ausgegangen ist, dass sie an dem Tag fast Hände hielten: mit einer Hochzeit und neun Monate später: Herrmann. Nur verliebt waren sie nicht. Nicht auf der Promenade, nicht während der kommenden, argen Zeiten, die mancher Beziehung Auftrieb gaben. Zusammengeblieben sind sie, das ja, und gestört haben sie einander nicht, und nichts aneinander hat sie gestört. Man könnte sagen, sie verhielten sich zueinander ein Leben lang so wie ihre Hände auf der Postkarte: knapp davor, einander zu berühren. Wer genau hinschaut, wird bemerken, dass das Fräulein ein Gähnen unterdrückt auf der Promenade.
Zwei unter Eschen auf der Promenade. Zwei, die ohne die Promenade ihr Leben nicht miteinander verbracht hätten. Hätte Herr Schliebenhöner sie nicht jeweils angehalten und gebeten, sich zusammen auf die Bank für ein Foto zu setzen, dann wären sie ein Stück die Promenade hoch mit einem schüchternen »Heil Hitler« aneinander vorbei, und das wär’s gewesen.
Von der Promenade aus hätte man dem Fährmann zusehen können. Den Frauen auf Frau Kranz’ erstem Gemälde. Es stehen drei Glocken am See und ruhen sich unter den Eschen aus. Vielleicht gefällt es ihnen auf der Promenade.
Diese gut ausgeleuchtete Promenade. Diese bezuschusste, diese unterhöhlte Promenade. Ach, diese Mäuse, die über den Teer wischen. Ein Plätzchen für die vielleicht Verliebten, ein Forum für die Proleten, eine Laufstrecke für Anna, für GPS -Geräte eine Landstraße. Diese ewige Promenade. Diese unsere Promenade.
ANNA KOMMT VON DER PROMENADE HERAUF , läuft an den Neubauten vorbei, an Gut Gölow, biegt auf den ehemaligen Bahndamm, beschleunigt am verfallenen Staatsbahnhof, wo wir auf den Morgenzug aus Prenzlau warten, dass er die ersten Festgäste aussteigen lässt in unsere Erinnerung.
Anna nähert sich dem Feld. So eine Nacht war das: nicht einmal die Eiche hat sie unversehrt überstanden. Anna ist müde. Sie wäre in zwei, drei Minuten zu Hause, aber die Eiche will sie sich ansehen. Schief ragt der Baum in den Nebel, links und rechts berühren die Äste den Boden, als wüchsen sie aus der Erde. Anna klettert über den Zaun und bahnt sich vorsichtig einen Weg durch
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